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Neuer Trainer, alte Probleme

Hertha BSC verliert »Freundschaftsspiel« gegen aufstrebende Frankfurt

  • Frank Hellmann, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Sehr zügig hatte Pal Dardai inmitten des Schneeregens im Frankfurter Stadtwald nach Spielende entschieden, dass Aufmunterung angesagt war. Also stakste der Hoffnungsträger bei Hertha BSC schnurstracks auf den durchweichten Rasen, um die körperliche Nähe zu den geschlagenen Protagonisten zu suchen. Der alte und neue Trainer klopfte auf viele Schultern und drückte zahlreiche Hände, um trotz des 1:3 bei Eintracht Frankfurt zu versichern: Hey Jungs, alles in Ordnung. Genauso klangen kurz darauf nämlich die verbalen Streicheleinheiten aus dem Presseraum der Frankfurter Arena: »Eigentlich war alles okay, nur das Ergebnis war nicht okay.«

Sein erstes Spiel, so der erprobte Berufsrealist, sei Glückssache gewesen. Man solle das nicht falsch verstehen, sagte Dardai. Er könne seinen Einstand nach erst vier Trainingseinheiten nur wie »ein Freundschaftsspiel« bewerten, »jetzt können wir eine richtige Analyse machen und richtig arbeiten«. Die nächste Herausforderung für den um Selbstfindung bemühten Hauptstadtklub hat es allerdings in sich: Am Freitag stellt sich der Rekordmeister im Olympiastadion vor. »Ich weiß, dass Bayern München kommt, das ist auch schön«, erläuterte Dardai - und lachte kurz. Danach könnten nur noch 14 Versuche bleiben, um die angeblich in seinem Vertrag vereinbarte Klausel zur Weiterbeschäftigung - 24 Zähler bis Saisonende - zu erreichen.

Angesichts solcher Herausforderungen kann Verstärkung nicht schaden: Sami Khedira steht unmittelbar vor einem Wechsel zur Hertha, nur der Medizincheck stand am Sonntag noch aus. Der Weltmeister ist von der Strahlkraft wie gemacht für einen Big City Club. »Wir sind in Gesprächen«, bestätigte Geschäftsführer Carsten Schmidt am Sonntagmorgen, er selbst habe »ein langes Telefonat« mit dem Profi geführt, der 2010 vom VfB Stuttgart zu Real Madrid wechselte und 2015 zu Juventus Turin weiterzog. Der 77-fache Nationalspieler, der nach der verkorksten WM 2018 aus der DFB-Auswahl zurücktrat, sei »ein großartiger Leader mit viel Erfahrung« - und genau dieser Aspekt mache ihn so interessant, sagte Schmidt. Problem ist die fehlende Wettkampfpraxis: Der 33-Jährige ist diese Saison unter Trainer Andrea Pirlo noch gar nicht zum Einsatz gekommen.

Dardai würde ihn wohl trotzdem mit offenen Armen empfangen. »Die Vereinsführung hat bei der Kaderzusammenstellung einiges vergessen«, kritisierte Herthas Rekordspieler. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Kämpfernatur Dardai sein ehemaliges Hoheitsgebiet im zentralen defensiven Mittelfeld robuster ausstatten möchte. In Frankfurt besetzte Störenfried Santiago Ascacibar die strategisch wichtige Position, doch als Stabilisator empfahl sich der kampfstarke Argentinier als einer von sechs neuen Kräften in der Startelf nur bedingt.

Am überraschendsten wirkte unter allen Personalrochaden der Berliner Torwarttausch: Rune Jarstein hatte wohl selbst kaum noch damit gerechnet, für den vergangenen Sommer vom SC Freiburg geholten Alexander Schwolow noch einmal in die Startelf zu rutschen. Dardais Begründung: »Alex ist ein guter Torwart, aber er hat kein Torwartglück gehabt. Jetzt macht er ein bisschen Pause.« Die sogar länger dauern könnte, weil der 36 Jahre alte Norweger Jarstein beim Saisondebüt überzeugte. Doch ein routinierter Rückhalt zwischen den Pfosten reichte nicht für den Turnaround, dafür besitzt der Krisenklub aus dem Berliner Westteil zu viele Baustellen.

»Nach der Führung fehlte die Erfahrung, wie man mit einem 1:0 umgeht. Diese Mannschaft ist definitiv unsicher«, meinte Dardai. Kaum hatte der Coach in einem fast rührenden Tête-à-Tête mit Sportdirektor Arne Friedrich den Führungstreffer von Krzysztof Piatek (66.) bejubelt, verschätzte sich Innenverteidiger Jordan Torunarigha beim Ausgleich von Eintracht-Torjäger André Silva (67.). Nach ganz ähnlichem Strickmuster ließen sich die Berliner vom ausgerückten Frankfurter Abwehrchef Martin Hinteregger übertölpeln (85.). Der seit dem vergangenen Frühjahr in bestechender Form auftrumpfende Silva legte dann in der fünften Minute der Nachspielzeit noch mit seinem 16. Saisontreffer per Foulelfmeter nach.

Der im Sommer 2019 im Tausch mit Ante Rebic vom AC Mailand in die Mainmetropole gekommene Portugiese verkörpert gerade all das Frankfurter Selbstbewusstsein, das in Berlin so schmerzlich vermisst wird. Dardai lobte ausdrücklich, wie eingespielt die mit sieben Siegen aus den jüngsten acht Ligaspielen zumindest vorübergehend auf Rang drei gestürmten Hessen gerade wirken. Trotzdem hat es Herthas Identifikationsfigur nicht bereut, ein zweites Mal als Nothelfer eingesprungen zu sein. Sein Bundesliga-Comeback sei eine schöne Sache gewesen, sagte der Ungar, der kurz darüber nachdachte, wie sonst dieses Wochenende verlaufen wäre. »Ich hätte nach Székesfehérvár reisen können«, verriet er. Dort hätte er seinen ältesten Sohn Palko beim Debüt für den ungarischen Spitzenklub Fehérvár gegen Honved Budapest beobachtet, »ein bisschen gequatscht« und wäre dann nach Hause gefahren. Möglicherweise vergnüglicher, als im Frankfurter Schneetreiben den Mutmacher zu mimen.

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