Putsch entmachtet Aung San Suu Kyi

Nach zehn Jahren ziviler Regierung übernehmen wieder Generäle die Kontrolle in Myanmar

  • Daniel Kestenholz, Bangkok
  • Lesedauer: 5 Min.

Myanmars zehnjähriges Experiment Demokratie ist gescheitert. Am frühen Montagmorgen hat das Militär geputscht. De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi sowie weitere Regierungsmitglieder wurden festgesetzt. Wo und für wie lange Aung San Suu Kyi festgehalten wird, ist nicht bekannt. Die Armee gab Wahlbetrug als Grund für die Machtübernahme an und rief just an dem Tag, an dem die konstituierende Sitzung des neugewählten Parlaments stattfinden sollte, einen einjährigen Notstand aus. An dessen Ende sollen »faire« Wahlen stehen. So bald dürften die Uniformierten ihre Macht nicht wieder abgeben.

Stunden nach dem Putsch veröffentlichte Aung San Suu Kyis Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), ein Schreiben der gestürzten Regierungschefin. Darin forderte die NLD-Parteiführerin die Öffentlichkeit zum Protest auf. »Die Maßnahmen des Militärs sind Maßnahmen, um das Land zurück in die Diktatur zu führen«, so die Erklärung, die den Namen Aung San Suu Kyis trug. »Ich fordere die Menschen auf, dies nicht zu akzeptieren, zu reagieren und von ganzem Herzen gegen den Putsch des Militärs zu protestieren.« Im Land blieb es trotzdem weitgehend ruhig. Durch die größte Stadt Yangon zog ein jubelnder Konvoi von Anhängern der Putschisten. Die meisten Menschen schweigen, auch wenn viele Angst und Zorn verspüren. »Die Art und Weise, wie sie handeln, ist wie einer Diktatur«, sagte ein 32-jähriger Anwohner zu Journalisten. Seinen Namen wollte er nicht nennen, aus Angst vor Vergeltung. »Wir alle wissen, für wen wir gestimmt haben.«

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Am Montagmorgen erließen die Uniformierten zunächst keine Erklärung zu den Vorgängen im Land. Auf den Straßen der Hauptstadt Naypyidaw und in der größten Stadt des Landes, Yangon, herrschte der übliche Morgenverkehr bei erhöhter Sicherheitspräsenz. Truppen sicherten wichtige Gebäude. Internet- und Telefonverbindungen waren zuweilen unterbrochen. Berichte über gewaltsame Zwischenfälle gab es nicht. Kurz vor neun Uhr Ortszeit erfolgte die Bestätigung der Generäle: Im Militärfernsehen »TV Myawaddy« gab ein Sprecher bekannt, dass die Armee die Kontrolle über das Land übernommen habe. Die Aufhebung der Zivilregierung soll für ein Jahr gelten. Als Grund für die Ausrufung des Ausnahmezustandes gab der Sprecher »Wahlbetrug« an.

Vizepräsident Myint Swe (69), ein ehemaliger General, wurde zum Übergangsstaatsoberhaupt ausgerufen und hat sein Vizepräsidentenamt an den Militärchef übertragen. Damit liegt die eigentliche Macht bei Armeechef Min Aung Hlaing (64), der während des für die Dauer eines Jahres ausgerufenen Notstands die oberste Befehlsgewalt innehat.
Aung San Suu Kyi hatte sich bei der jüngsten Parlamentswahl im November eine zweite Amtszeit in dem südostasiatischen Land mit 54 Millionen Einwohnern gesichert. Ihre NLD holte nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit, die Wahlbeteiligung lag bei über 70 Prozent.

Als De-facto-Regierungschefin war Aung San Suu Kyi immer auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern ist für die Streitkräfte reserviert, die damit eine Sperrminorität für Verfassungsänderungen haben. So steht es in der Verfassung von 2008, die von der damaligen Junta aufgesetzt worden war, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden. Außerdem garantiert die Verfassung dem Militär die Kontrolle über die wichtigen Ministerien Verteidigung, Inneres und Grenzangelegenheiten.

Aung San Suu Kyi hat somit nie umfassende Machtbefugnisse genossen. Wegen einer Klausel – weil sie mit einem Ausländer verheiratet war, dem Briten Michael Aris (1946 bis 1999), und einen Sohn mit britischem Pass hat – durfte sie nicht Präsidentin werden. Für sie wurde das Amt der Staatsrätin geschaffen, wodurch sie aber de facto als Regierungschefin fungierte. Jetzt drehen die Generäle das Rad der Zeit zurück. An Myanmars Landesspitze stehen wieder Uniformierte, wie fast durchgängig seit dem Putsch von 1962.

Bereits 1990 hatte die NLD unter Aung San Suu Kyi bei den ersten Parlamentswahlen seit 1960 gewonnen. Das Militär verhinderte aber eine Konstituierung des Parlaments. In der Folge wurde die Oppositionsführerin insgesamt 15 Jahre lang unter Hausarrest gestellt und galt im Westen als Ikone der Demokratie – ausgezeichnet 1991 in Abwesenheit mit dem Friedensnobelpreis.

In Myanmar ist die Politikerin weiterhin sehr beliebt. International dagegen ist die frühere Freiheitsikone mittlerweile umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bislang weitgehend ausgeblieben. Aung San Suu Kyi wird ein autoritärerer Regierungsstil vorgeworfen. Vor allem aber wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht sie international in der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen. In einem Völkermordverfahren in Den Haag hatte Aung San Suu Kyi die Vorwürfe 2019 zurückgewiesen.

Nach politischen Lockerungen durch die Junta seit 2002 und den ersten Wahlen 2010, an der die NLD nicht teilnehmen wollte, war die Tochter von Staatsgründer Aung San schrittweise zur Landesführerin aufgestiegen. Nun wird das ehemalige Burma der Briten von seiner turbulenten Geschichte der Militärregimes wieder eingeholt. UN-Generalsekretär Antonio Guterres bezeichnete den Putsch als schweren Rückschlag für den demokratischen Reformprozess. Auch der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Myanmar, Tom Andrews, sprach von »sehr verstörenden und empörenden Nachrichten«.

Vergangene Woche wurden Spekulationen über einen möglichen Putsch genährt, als ein Armeesprecher erneut eine Untersuchung des Wahlergebnisses wegen angeblichen Wahlbetrugs gefordert hatte. Auf die Möglichkeit eines Putsches angesprochen, reagierte der Sprecher der Armee, die auch Tatmadaw genannt wird, ausweichend: »Wir sagen nicht, dass die Tatmadaw die Macht übernehmen wird. Wir sagen aber auch nicht, dass sie es nicht tun wird.« Das Militär werde sich jedoch an die geltenden Gesetze halten.

Die US-Regierung reagierte besorgt auf den Militärputsch in Myanmar und forderte die sofortige Freilassung von Aung San Suu Kyi. Präsident Joe Biden war von seinem Nationalen Sicherheitsberater über die Situation in dem südostasiatischen Land informiert worden. »Die Vereinigten Staaten lehnen alle Versuche ab, den Ausgang kürzlich abgehaltener Wahlen zu verändern oder den demokratischen Übergang in Myanmar zu behindern«, hieß es vom US-Außenministerium. Es würden »Maßnahmen gegen die Verantwortlichen ergriffen, wenn diese Schritte nicht rückgängig gemacht werden«. Doch um solche Aufforderungen haben sich auch Myanmars alte Militärregierungen noch nie groß gekümmert.

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