Haltung zu Nawalny spaltet die Linke

Der jüngste Aufschwung der Proteste stellt die Opposition in Russland vor ein Dilemma

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.

Gennadij Sjuganow war einst Wladimir Putins Herausforderer Nummer eins in Russland. Diesen Status hat derzeit eher der nationalliberale Alexej Nawalny inne als der langjährige Chef der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF). Sjuganow ignoriert Nawalny so weit es geht. Das zeigte sich zuletzt auf dem Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei am 25. Januar. »Über die propagandistische Informationsarbeit der KPRF unter den Bedingungen des modernen Hybridkrieges«, lautete dort der Titel des Referats von Sjuganow.

Während die Themen »Putins Palast« und »Nawalnys Haft« im Internet omnipräsent sind, erwähnte sie der Anführer der größten Oppositionspartei Russlands nicht. Stattdessen warnte er vor »Manipulationen«, die von »selbst ernannten ›Eliten‹ der Massenkultur« über soziale Netzwerke betrieben würden. Diese würden sich »auf liberale Verräter vor Ort stützen«. Die Botschaft war klar: Proteste gegen Putin nutzen den äußeren Feinden Russlands. Die KPRF ist oppositionell, aber in erste Linie patriotisch.

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Nur fünf Tage nach Sjuganow meldete sich der Sekretär des Zentralkomitees, Sergei Obuchow, zu Wort. Es erklangen etwas andere Töne. Bereits 2011 habe er, damals noch Duma-Abgeordneter, auf das geheimnisvolle Bauprojekt hingewiesen, das mit Putin in Zusammenhang gebracht wird. Die KPRF und nicht Nawalny habe zuerst Alarm geschlagen. Die Partei erkennt damit an, dass das Problem mit dem Palast überhaupt existiert. Nawalny hatte Putin ein mutmaßlich aus Schmiergeldern finanziertes luxuriöses Anwesen am Schwarzen Meer zugeschrieben. Der Kreml bestritt dies. Zu der Teilnahme an den nicht genehmigten Demonstrationen rief Obuchow dennoch nicht auf.

Das Verhältnis der KPRF zur Nawalny ist kompliziert. Die Parteiführung vermeidet jeglichen positiven Bezug auf seine Antikorruptionsermittlungen und warnt regelmäßig vor auslandsgesteuerten »farbigen Revolutionen« wie beispielsweise die Orange Revolution in der Ukraine 2004. Damit liegt sie auf der Linie der loyalen Medien. Doch gleichzeitig profitierten die Kandidaten der Partei bei den Regionalwahlen von Nawalnys Taktik des »klugen Abstimmens«, bei der alle Oppositionellen aufgerufen werden, von ideologischen Differenzen zu abstrahieren und den aussichtsreichsten Kandidaten der Opposition zu wählen. Einige bekannte KPRF-Politiker berufen sich auf die Ergebnisse von Nawalnys Ermittlungen und unterstützen die Forderungen nach seiner Freilassung. Darunter sind Sergei Lewtschenko, der 2015-2019 Gouverneur der Region Irkutsk war und unter Druck aus Moskau zurücktreten musste, und Nikolai Bondarenko, Abgeordneter der Regionalduma von Saratow, der durch seinen Videokanal landesweit bekannt wurde.

Die aktuellen Proteste werden, anders als noch bei der vergangenen großen Protestwelle 2011/2012, nicht von einem breiten Bündnis organisiert und angeführt. Die Forderungen, Ort, Zeit und Form der Demonstrationen werden von Nawalny-Strukturen vorgegeben. Statt Verhandlungen zu führen, formuliert das »Nawalny-Team« Minimalkonsens-Forderungen wie die Freilassung der politischen Gefangenen, juristische Nachverfolgung der Korruptionsvorwürfe. Einerseits können die meisten Linken dem nicht widersprechen. Andererseits sind die Möglichkeiten eingeschränkt, Einfluss auf die Agenda zu nehmen.

Wer zu Demonstrationen geht, riskiert seine Gesundheit und Freiheit »gegen Putin, für Nawalny«, nicht für Debatten über Sozialismus und Liberalismus. Sergei Udalzow, Anführer der »Linken Front« und Veteran des 2011/2012-Proteste, ruft dazu auf, getrennt von »Nawalnysten« am 23. Februar landesweit unter roten Fahnen zu demonstrieren. Ein Bündnis schließt er nicht aus, aber dafür müssten die Linken von den Liberalen als gleichberechtigte Partner anerkannt werden.

Einige radikale Linke haben Nawalny jahrelang ignoriert oder ihn als »Projekt des Kremls« und »Taschenoppositionellen« abgetan. Diese Argumentation ist spätestens im August 2020 obsolet geworden. Dennoch stellen diese Linken dem »Nawalny-Hype« Klassenkonflikte in Betrieben gegenüber, auf deren Ausbruch sie warten. Nawalny macht zunehmend die soziale Frage zum Thema und hat für alle Missstände eine griffige Erklärung: Korruption! Richtige Marktwirtschaft werde sozialer sein als Putins »Kapitalismus für Freunde«.

Das suggerieren seine immer populärer werdenden Videos. Eine linke Auseinandersetzung damit steht noch aus. Bis dahin bleiben gemäßigte wie radikale Linke in Bezug auf Nawalny gespalten. Während die Konföderation der revolutionären Anarchosyndikalisten (KRAS) sich kategorisch gegen die Teilnahme an dem »Kampf zwischen verschiedenen Fraktionen der Oligarchie« ausspricht, fordert die trotzkistische »Sozialistische Alternative« Freiheit für Nawalny und die »Einberufung einer Versammlung aus demokratisch gewählten Vertretern aus allen Schichten der Werktätigen für die Organisierung einer Arbeiterregierung und eines neuen Parlaments«. In Sicht ist das nicht.

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