- Wirtschaft und Umwelt
- Weltleitmesse SMM
Warenhandel hui, Tourismus pfui
Auf der Weltleitmesse SMM sind höchst unterschiedliche Signale aus dem Schiffbau sind zu vernehmen
Alle zwei Jahre öffnet die Weltleitmesse der Schifffahrt in Hamburg ihre Tore. Seit Dienstag findet die SMM erstmals nur online statt. Das hat auch sein Gutes: Sie ist für alle Interessierten kostenlos zugänglich.
Die Kreuzfahrtbranche gab sich vor dem Start der Messe, die bis Freitag läuft, verhalten optimistisch. Die italienische Fincantieri, die mit Meyer in Papenburg und der französischen Chantiers de l’Atlantique den globalen Markt dominiert, meldet weiterhin volle Auftragsbücher. Keiner der 39 Aufträge bis 2028 sei bisher zurückgezogen worden.
In diesem Jahr könnten die Signale aber kaum unterschiedlicher sein. »SOS« funken etwa die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern, wieder einmal. Als der malaysische Mischkonzern Genting vor fünf Jahren die Werftengruppe von der Ostsee übernahm, waren Beschäftigte und Landesregierung erleichtert. Seit dem Untergang der DDR waren die drei traditionsreichen Werftstandorte Wismar, Rostock und Stralsund nie mehr so richtig in Fahrt gekommen. Neue Eigentümer und staatliche Finanzhilfen brachten nicht die Wende. Die Genting-Gruppe lässt nun seit 2016 Kreuzfahrtschiffe bauen.
Eine Expeditionsjacht steht vor der Fertigstellung, und im kommenden Jahr soll die »Global 1«, das größte Traumschiff aller Zeiten, vom Stapel laufen. Der wachsende maritime Massentourismus versprach den MV Werften eine glänzende Zukunft. Dann kamen hausinterne technische Probleme sowie Corona und damit die heftigste Krise im Tourismusgeschäft. Mittlerweile steht die rot-schwarze Landesregierung in Schwerin wieder mit 230 Millionen Euro im Risiko. Zudem sind vom Bund bereits 193 Millionen an Corona-Hilfen geflossen.
Bis Corona boomte die weltweite Kreuzfahrtindustrie mit ihren rund 300 Schiffen. In kurzer Zeit war die Zahl der Passagiere nach Angaben des Unternehmensverbandes CLIA allein in Deutschland auf 1,8 Millionen im Jahr 2019 gestiegen. Neben den klassischen Regionen Nordamerika und Europa entwickelte sich in Asien ein neuer Markt - auf den setzt Genting seine Hoffnungen.
Ganz andere Signale senden indes die großen Frachtreedereien. Für sie war das Corona-Jahr herausragend. Die deutsche Nummer eins, Hapag-Lloyd, machte 60 Prozent mehr Gewinn. Chef Rolf Habben Jansen berichtet seit Wochen, dass die Ladekapazitäten seiner Schiffe kaum ausreichten, um die wachsenden Gütermengen zu transportieren. Dies ist vor allem auf die rasante Erholung der Wirtschaft in China, Vietnam und Südkorea zurückzuführen. Die Nachfrage treibt die Preise: Die Frachtraten für die Lieferung von Containern aus Fernost haben sich mindestens verdreifacht, heißt es im Hamburger Hafen.
Dort kam es in diesem Jahr schon zu Warnstreiks, weil die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten zu scheitern drohen. Dahinter lauern Überkapazitäten, welche die großen Häfen an den westeuropäischen Küsten aufgebaut haben. Das ist allerdings nicht das einzige Problem, welches die virtuellen Besucher der SMM bewegt: Meeresspiegelanstieg, überfischte Fanggebiete, Plastikmüll, aber auch die Konfrontation USA-China und interkontinentale Flüchtlingsströme sind weitere Themen.
Auf einer Fachkonferenz zur maritimen Sicherheit am Donnerstag werden sich Admirale aus aller Welt tummeln, voran Hervé Bléjean, Generaldirektor des EU-Militärstabes. Dabei wird es auch um eine weitere Arbeitsteilung zwischen den Marinen der EU-Mitgliedstaaten gehen, die Schaffung eines europäischen »Airbus des Schiffbaus« und um die vielen neuen Kriegsschiffe, die in den kommenden Jahren weltweit zulaufen werden. Geopolitische Entwicklungen haben den Ausbau der Seemacht wieder zurück auf die Agenda der Regierungen gebracht.
Umweltfragen spielen ebenfalls eine Rolle auf der 29. SMM. Wie die Kraft von Meer und Wind nachhaltig in Energie umgewandelt werden kann, steht im Fokus des »Offshore Dialogue«. Dabei geht es auch um den umweltschonenden Rückbau von alten Offshore-Anlagen etwa der Ölindustrie.
Nachhaltigkeitskriterien fließen mittlerweile auch in Schiffsfinanzierungen mit ein. Seit 2020 gilt der »Sulphur Cap«. Darin verpflichtet die Weltschifffahrtsorganisation IMO Reedereien, nur noch Brennstoffe mit maximal 0,5 Prozent Schwefelgehalt zu verwenden oder Filteranlagen nachzurüsten. Aktuell ist die Seeschifffahrt nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums für zwei bis drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich.
Die IMO will den Ausstoß bis 2050 um mindestens 50 Prozent reduzieren. Im Idealfall soll eine vollständige Dekarbonisierung erreicht werden. Angesichts der Langlebigkeit von Schiffen stellen daher Neubauten, die auf klassische Brennstoffe setzen, zunehmend ein betriebswirtschaftliches Risiko dar. Ob dies als Antrieb für eine umweltverträglichere Schifffahrt ausreicht, werden Vertreter von »Fridays For Future« und NABU auf einer Messeveranstaltung mit Industrievertretern diskutieren.
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