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Diplomatisches Karussell
Iranische Regierung fordert »inklusive« Regierung für Afghanistan
Der Iran hat seine diplomatischen Bemühungen verstärkt, sich in den Friedensprozess in Afghanistan einzuschalten. Am Sonntag traf sich Außenminister Mohammad Javad Zarif in Teheran mit einer hochrangigen Taliban-Delegation, die von Mullah Abdul Ghani Baradar geleitet wurde. Der Iran werde nur eine »inklusive« Regierung im benachbarten Afghanistan unterstützen, sagte Außenminister Mohammad Javad Zarif. Das soll wohl heißen, die zukünftige Regierung müsse die verschiedenen Volksgruppen Afghanistans repräsentieren - nicht allein die paschtunischen Taliban, zu denen der Iran immer ein konfliktgeladenes Verhältnis hatte.
Die Gespräche zwischen den Taliban und der iranischen Regierung haben wesentlich mit dem neuen US-Präsidenten zu tun: Die Wahl von Joe Biden habe die Karten neu gemischt, meint Conrad Schetter, der sich seit Jahrzehnten mit Afghanistan beschäftigt und heute das Friedensforschungsinstitut BICC (Bonn International Center for Conversion) leitet. »Der Iran will austarieren, inwieweit er mit den Taliban zusammenarbeiten kann«, so Schetter gegenüber »nd«. Und die Taliban wollten zeigen, dass sie nicht allein von Pakistan abhängig seien, sondern auch mit dem Iran redeten - »und wahrscheinlich auch mit Saudi-Arabien«.
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Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Nachbarländern sind intensiv. So liefert der Iran vor allem Treibstoffe und Produkte des täglichen Lebens nach Afghanistan, während der Iran in erster Linie landwirtschaftliche Produkte einführt. Wie geschmiert läuft vor allem die Drogen-Ökonomie: Der Iran hat ein notorisches Suchtproblem, das schwer auf dem Gesundheitssystem laste, erklärt Conrad Schetter. Und der Stoff kommt direkt vom Nachbarn. Auf beiden Seiten seien die Eliten in die Drogen-Ökonomie verwickelt, »auch die Taliban«.
Davon bleibt auch die Sicherheitslage in Afghanistan nicht unberührt. Erst am Dienstag gab es erneut einen Bombenanschlag. Und wie gefährlich das Leben in Afghanistan ist, zeigen die zunehmenden Attentate auf Journalisten. Viele sehen die Gewalteskalation als Folge der Reduzierung der US-Truppen auf nur noch 2500 Soldaten im Land.
Dagegen haben die Taliban angekündigt, ihren »Kampf und Dschihad« fortzuführen, sollten die in Afghanistan verbliebenen US-Truppen nicht spätestens im Mai abziehen. Eine darüber hinausgehende Stationierung von US- oder anderen Nato-Soldaten sei gleichbedeutend mit der »Fortsetzung der Besatzung Afghanistans«, sagte der Taliban-Sprecher Suhail Schahin am Montag am Rande des offiziellen Besuchs in der iranischen Hauptstadt Teheran.
»Wir bekämpfen die Besatzung seit 20 Jahren«, sagte Schahin vor Journalisten. Sollte der internationale Truppenabzug bis Mai nicht erfolgen, »sind wir gezwungen, unseren Kampf und Dschihad fortzusetzen«. Die neue US-Regierung unter Präsident Joe Biden hatte am vergangenen Donnerstag angekündigt, das Friedensabkommen mit den Taliban auf den Prüfstand zu stellen.
Der Iran sieht die Rolle der USA in Afghanistan schon immer kritisch: »Der Krieg und die Besatzung Afghanistans haben dem afghanischen Volk schweren Schaden zugefügt«, sagte Außenminister Zarif bei seinem Treffen mit der Taliban-Delegation. Und er hoffe, dass die Taliban »den Besatzern die Ausreden aus der Hand nehmen, indem Sie so schnell wie möglich Frieden in Afghanistan erreichen«, so Zarif zum Taliban-Delegationsleiter Baradar.
Als unmittelbares Nachbarland ist der Iran an einer friedlichen Situation in Afghanistan interessiert. Außerdem möchte der iranische Staat schon lange die afghanischen Flüchtlinge loswerden und in ihr Heimatland zurückschicken. So schieben die iranischen Behörden bei Razzien regelmäßig Tausende afghanische Flüchtlinge über die Grenze ab, erzählt Conrad Schetter. Aufgrund der Wirtschaftssanktionen leidet der Iran unter hoher Arbeitslosigkeit und Inflation. Im Niedriglohnsektor konkurrieren die afghanischen Flüchtlinge mit den iranischen Arbeitern. Regelmäßig kommt es daher zu Konflikten. Den Umgang der iranischen Behörden mit den afghanischen Flüchtlingen vergleicht Conrad Schetter mit der Fluktuation der Konjunktur: Bei einer Rezession würden die Menschen kurzerhand abgeschoben; laufe es aber wirtschaftlich gut, seien die Afghanen willkommene Billiglöhner, insbesondere auf dem Bau. »Das Teheran von heute ist zu einem großen Teil von Afghanen gebaut worden«, so Schetter.
Auch wenn Afghanistan auf der Krisen-Agenda der iranischen Außenpolitik nicht an erster Stelle stehen mag, sind sich der Iran und die Taliban jedoch nicht fremd. »Bereits vom Mai 2015 gibt es Berichte über Treffen der beiden Seiten«, sagt Thomas Ruttig, Ko-Direktor des unabhängigen Forschungsinstituts Afghanistan Analysts Network (AAN). Es habe auch immer wieder Berichte gegeben, dass die Taliban im Iran Stützpunkte unterhielten. »Die Kontakte haben sich in den vergangenen Jahren intensiviert«, meint Ruttig. Und der Iran pflege schlicht seine politischen Beziehungen, da die Taliban ja wieder an die Macht kommen könnten.
Einer der erfahrenen Taliban-Verhandler, Scher Mohammad Abbas Stanikzai, hatte kürzlich ebenfalls eine Delegation zu Gesprächen nach Russland geführt. »Da Herr Ghani durch illegale Mittel an die Macht gekommen ist, wäre es besser für ihn, für den Frieden zurückzutreten und die Macht an die wahren Vertreter Afghanistans zu übergeben«, sagte Stanikzai in Moskau.
Letzte Woche traf sich die Taliban-Delegation in Teheran bereits mit Ali Shamkhani, dem iranischen Sekretär des Obersten Rates für nationale Sicherheit. Bei diesem Treffen sagte Shamkhani gegenüber Baradar, der Iran sei gegen Gewalt in Afghanistan, insbesondere in den westlichen afghanischen Provinzen, die an den Iran grenzen.
»Die Islamische Republik Iran wird niemals eine Bewegung anerkennen, die durch Krieg in Afghanistan an die Macht kommen möchte.« Shamkhani äußerte sich gleichzeitig pessimistisch über die Absichten der USA in Afghanistan: »Den USA geht es nicht um Frieden und Sicherheit in Afghanistan. Ihr Ansatz ist es, den Krieg und das Blutvergießen zwischen verschiedenen afghanischen Fraktionen fortzusetzen.« Die Taliban ihrerseits hatten den Iran kritisiert, weil er diese als »terroristische« Gruppe bezeichnet hatte. Die Beziehungen sind weiter gespannt, aber die Realpolitik scheint doch zu überwiegen.
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