- Berlin
- Potse
Die Jugend bleibt unbeugsam
Autonomes Zentrum »Potse« lehnt neues Angebot für Ersatzräume ab - Stadtrat leitet die Räumung ein
»Im Berliner Westen gibt es generell viel zu wenig linke Jugendinfrastruktur«, sagt Momo. Die junge Frau steht mit Paul vor dem Gebäudekomplex der Rathenower Straße 15-18 in Moabit. Die beiden sind Teil des Kollektivs des selbstverwalteten Jugendzentrums »Potse«, das die Potsdamer Straße 180 seit nunmehr zwei Jahren besetzt hält, nachdem ihnen der Mietvertrag für die Räumlichkeiten gekündigt worden war. Seitdem sind sie auf der Suche nach einem neuen Standort. »Eigentlich wäre es wünschenswert, in Schöneberg zu bleiben, aber das hier ist zumindest nicht so weit weg«, sagt Momo.
Der riesige Gebäudekomplex vor ihnen steht seit Jahren zu großen Teilen leer, also sind die Jugendlichen an diesem Montagnachmittag hergekommen, um zu schauen, ob hier Platz für ihr Jugendzentrum ist. »Es ist keine Option, sich an den Stadtrand verdrängen zu lassen und die Innenstadt den Investor*innen zu überlassen«, sagt Paul kämpferisch. Es ist kalt, aber die Sonne setzt das rote Backsteingebäude in Szene. Paul und Momo warten auf Theresa Keilhacker von »Wem gehört Berlin«. Die Initiative hat der »Potse« die Rathenower Straße 16 vorgeschlagen, um gemeinsam gegen den geplanten Teilabriss des Gebäudes aktiv zu werden. Die Architektin Keilhacker engagiert sich seit zwei Jahren für den Erhalt des Gebäudekomplexes. Nachdem sie ihr Fahrrad angeschlossen hat, kann es losgehen mit der Besichtigung.
Was war letzte Woche noch mal wichtig in Berlin? Plop und Zisch! Aufgemacht! Der Podcast „Rote Brause“ liefert dir alle wichtigen News aus der Hauptstadtregion in nur 15 Minuten.
Der Komplex besteht aus einem Hochhaus mit sieben Stockwerken und einem Flachbau mit zwei Etagen plus Keller. Vergangenen Mittwoch hat das »Potse«-Kollektiv hier bereits eine Kundgebung abgehalten, um auf ihre Suche nach einer Bleibe aufmerksam zu machen. Das Gebäude gefällt den beiden Jugendlichen auf den ersten Blick ganz gut, auch wenn ein paar Renovierungsarbeiten anfallen würden. Die wollen sie mit Hilfe von befreundeten Handwerker*innen selbst angehen. »Das ist ja Teil unserer Jugendarbeit, da lernt man auch was dabei«, sagt Paul. »Und wir könnten es dann genau so gestalten, wie wir es wollen«, ergänzt Momo voller Tatendrang.
In den 1970er Jahren als Kinder- und Jugendheim gebaut, steht das Gebäude seit Jahren zu großen Teilen leer. Noch gehört die Immobilie dem Land Berlin, das die Instandhaltung vernachlässigt habe, sagt Keilhacker. So fehle etwa die Abdichtung von Abwasserrohren, die nötig ist, um unangenehme Gerüche zu vermeiden. Das Land will das Grundstück der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte überschreiben und der Flachbau - also der Teil, für den sich die Jugendlichen interessieren - soll abgerissen werden und sozialem Wohnungsbau weichen.
Am Eingang des Erdgeschosses steht Khaled Abou-Steïté. Er ist einer der verbliebenen Nutzer des Gebäudes, in dem sich noch eine Moschee befindet. Der Rentner und Besucher der Moschee grüßt freundlich und lädt die Jugendlichen in die Gebetsräume ein. »Wenn das Gebäude abgerissen wird, wissen wir nicht, wie es weitergeht. Vielleicht gehen wir dann nur noch spazieren«, sagt er, und trotz des ernsten Themas huscht ein Grinsen über sein Gesicht. Dann wird er wieder ernst: »Wir wissen nichts Genaues. Sie sagen, es gäbe einen Ersatz, aber wo, wissen wir nicht.«
Auf den roten Teppichen markieren gelbe Klebestreifen die gebotenen 1,5 Meter Abstand. Die Moschee sei - unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen - gut besucht und ein wichtiger Anlaufpunkt für viele Menschen, erzählt Abou-Steïté. Die Räume direkt über der Moschee stehen leer. Über eine Außentreppe gelangt man in das darüberliegende Stockwerk, in dem bis vor kurzem noch eine arabische Schule war, die wegen des geplanten Abrisses ausziehen musste. Momo blickt sich begeistert um. »Es wäre toll, in Nachbarschaft mit einer Moschee Räumlichkeiten zu finden«, findet sie.
Architektin Keilhacker ist guter Dinge, dass das älteste Jugendzentrum Berlins in Moabit ein neues Zuhause finden wird. Die Initiative Wem gehört Berlin hat gegen das Bauprojekt Einspruch erhoben. »Wir haben seit den 70er Jahren einen rechtskräftigen Bebauungsplan, der besagt, dass hier ein Jugendzentrum und kein Wohnraum sein soll«, sagt sie. »Wir sagen: Behaltet doch bitte dieses Juwel ›Jugendzentrum‹ des Bebauungsplans.« Momo und Paul können dem nur zustimmen. Die Pandemie treffe Jugendliche besonders stark, emanzipatorische Räume wie die »Potse« brauche es nach Corona mehr denn je.
Die leerstehenden Räume sind gut in Schuss: Bäder, Terrassen, Gartenanlagen und mehrere kleine Zimmer warten auf neues Leben. Paul studiert interessiert den Grundriss auf dem Fluchtplan. »Diese dünneren Linien sind nicht-tragende Wände?« fragt er Architektin Keilhacker, die bejaht. »Also könnte man sie auch leicht entfernen«, murmelt er. Denn einen großen Veranstaltungsraum für Konzerte gibt es hier bislang nicht. Dafür einen großen Außenbereich mit Blick auf den Fritz-Schloß-Park. »Das wäre schon richtig gut hier«, sagt Paul.
Vom Bezirk Tempelhof-Schöneberg wurde der »Potse« - ebenso wie dem Kollektiv »Drugstore« - ein Saal im Rockhaus in Lichtenberg angeboten. »Es gibt dort nur einen großen Raum, also kein Büro, keine Rückzugsmöglichkeit«, erzählt Momo. Außerdem sei die Lage zu weit von ihrem aktuellen Standort entfernt. Tempelhof-Schönebergs Bezirks-Jugendstadtrat Oliver Schworck (SPD) hat lange nach neuen Räumlichkeiten für die »Potse« gesucht. Er sieht das Angebot des Rockhauses als die beste und einzige Möglichkeit - zumal es nur eine Übergangslösung sein soll, bis das Haus der Jugend gebaut werde. Doch die Fronten scheinen sich zunehmend zu verhärten. Der SPD-Politiker hat die Jugendlichen vor die Wahl gestellt: Entweder sie nehmen das Angebot an, oder sie werden geräumt. Die Jugendlichen wollen jedoch nicht ins Rockhaus. Also hat der Jugendstadtrat nun die Räumungsmaßnahmen eingeleitet. Damit scheint auch eine Zukunft im Bezirk passé: »Wenn es zur Zwangsräumung der ›Potse‹ kommt, dann wird sie bei zukünftigen Plänen eines Hauses der Jugend keine Rolle mehr spielen«, sagt Schworck.
Die Besetzer*innen lassen sich von dem Ultimatum jedoch nicht einschüchtern und suchen weiter nach geeigneten Ersatzräumen. Hoffnung macht ihnen ein Antrag der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung Mitte, der sie bei ihrer Suche unterstützt. »Da kommen noch weitere Objekte wie eine alte Schule in der Levetzowstraße infrage«, sagt Paul. Darauf, dass die SPD die Jugendlichen mitten im Wahlkampf nicht räumen wird, können sie hingegen eher nicht hoffen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.