Nächtliche Räumung erregt Protest

Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht in Blitzaktion von Bezirk aufgelöst

  • Yannic Walther und Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 5 Min.

Der Bezirk Lichtenberg hat in der Nacht von Freitag auf Samstag das Obdachlosencamp an der Rummelsburger Bucht räumen lassen. Grund sei der vorhergesagte Temperatursturz. Zwar wurde den Bewohnern des Camps eine Unterkunft angeboten. Doch bei vielen herrscht großes Unverständnis über das Vorgehen. Zusammen mit Aktivisten demonstrierten Bewohner am Samstag vor dem Eingang zum Camp in der Kynaststraße gegen die Räumung.

»Eine sichere Unterbringung wurde notwendig«, heißt es in der Pressemitteilung des Bezirks, weil »durch die extreme Wetterlage in den nächsten Tagen Lebensgefahr beim Übernachten im Freien besteht«. Mit Bussen wurden umzugswillige Bewohner in der Nacht zu Samstag zur leer stehenden Traglufthalle an der Frankfurter Allee gebracht. Ein Sprecher der Polizei teilte auf Nachfrage mit, dass bei der Räumung keine Zwangsmaßnahmen angewendet werden mussten.

Weniger reibungslos schildern es die Bewohner. »Wir sind regelrecht überfallen worden«, sagt Jess am Tag danach. Von einer anderen Bewohnerin hätte sie erfahren, dass geräumt wird. Schnell sei sie zurück zum Camp gefahren. Dort angekommen, hätte man ihr nur kommuniziert: »Ab in den Bus, und weg mit euch.« Jess erzählt, dass sie bereits seit einem Monat in einem Hostel wohnt, ihr Wohnwagen hätte allerdings noch auf der Brache gestanden. Samstagmorgen dann die böse Überraschung: »Das Schlimmste ist, dass der Wagen, für den ich 5000 Euro bezahlt habe, zerstört wurde.«

Was genau mit dem Wohnwagen passiert ist, kann Kevin Hönicke (SPD), stellvertretender Bezirksbürgermeister von Lichtenberg, nicht sagen. Zwar waren am Samstag auf dem Gelände Bagger im Einsatz, die zwischenzeitlich von Aktivisten besetzt wurden. Doch Hönicke bekräftigt, dass im Camp nichts zerstört worden sei und werden soll und die Bewohner über die Woche noch ihr Hab und Gut abholen können. Auch zeitlichen Druck hätte es nicht gegeben. 47 der Bewohner hätten die Nacht dann in der Notübernachtung verbracht.

Geschätzt rund 100 Menschen sollen im Camp gelebt haben. Wo jene verblieben sind, die nicht in die Notübernachtung wollten, wisse Hönicke im Einzelnen nicht. Als er in der Nacht vor Ort war, hätte er mit bulgarischen Familien gesprochen, die in ihr Auto gestiegen seien und ankündigten, nach Bulgarien fahren zu wollen. Auf die Frage, warum die Räumung den Bewohnern nicht eher angekündigt wurde, antwortete Hönicke: »Wahrscheinlich hätten wir es auch schon eher ankündigen können, aber man kann immer sagen, es hätte mehr Zeit bedurft.«

Auf vielfach geäußerte Kritik hat Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) am Samstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter reagiert. Sie erklärte, dass die Amtshilfe der Senatsverwaltung am Freitag um 17 Uhr vom Bezirk erbeten wurde. Es sei dann die Notunterkunft für die erste Nacht organisiert worden und bis Ende des Winters ein Hostel in Friedrichshain. Warum das Camp zum gewählten Zeitpunkt aufgelöst wurde, müsse der Bezirk beantworten. »Trotzdem finde ich es richtig, dass wir die Menschen jetzt gut untergebracht haben und sie nicht mehr der Kälte ausgesetzt sind«, antwortete Breitenbach auf Kritik bei Twitter.

Nach nd-Informationen wurde zwischen mehreren Verwaltungen seit Wochen über die Situation im Camp und die mögliche Gefährdung der Bewohner gesprochen. Hätte Stadtrat Hönicke früher ein Amtshilfeersuchen gestellt, wäre die Aktion womöglich weniger überfallartig von statten gegangen. Ein großer Gefahrpunkt für die Bewohner sollen die offenen Feuer in den Zelten gewesen sein, die lebensgefährliche Kohlenmonoxidvergiftungen zur Folge haben können. Bei der Räumung des Camps habe die Feuerwehr 30 offene Feuer gelöscht, heißt es.

Sie möchte keine bösen Absichten unterstellen, sagt Nina, die die Demonstration mit rund 100 Teilnehmern am Samstag mitorganisiert hatte und ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Es sei aber schon seit Längerem klar gewesen, dass es kalt wird. Nina regt nicht nur auf, dass die Bewohner nicht vorher informiert wurden und dass sie mitten in der Nacht aus ihrem Zuhause vertrieben wurden. Auch, dass hier über die Köpfe der Bewohner hinweg geholfen werden soll, stößt ihr auf. »Die Leute, die nicht in ein Hostel wollen, wären im Camp eher vor der Kälte geschützt als wenn sie ohne Behausung auf der Straße übernachten.«

Dass die Bewohner bei wärmeren Temperaturen wieder auf die Brache zurückkönnen, bezweifelt sie. Das Grundstück ist privates Bauland. Hier sollen Wohnungen und das Aquarium Coral World entstehen. Seit Jahren gibt es Proteste gegen die geplante Aufwertung der Rummelsburger Bucht. »Die Räumung spielt den Eigentümern natürlich jetzt in die Hände«, sagt Nina, die eine Ausweichfläche für die Bewohner fordert.

Durch die Baupläne bedroht ist auch die Existenz von zwei Wagenplätzen an der Rummelsburger Bucht. Das »Queere Wagenkollektiv« und die »Wagenkunst Rummelsburg« sind Untermieter auf Grundstücken, die dem berüchtigten Immobilienunternehmer Gijora Padovicz gehören, die neu bebaut werden sollen. Bereits seit geraumer Zeit wird in der Lichtenberger Politik um eine Lösung gerungen. Ein geeignetes Grundstück, das sich im Eigentum des Bezirks befindet, wurde bereits ausgemacht. Eine definitive Entscheidung steht aber noch aus. »Wir wollen den Wagenplätzen eine dauerhafte Perspektive geben«, sagt Hendrikje Klein zu »nd«. Sie ist in Lichtenberg direkt gewähltes Mitglied der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus.

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