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Laufen lassen ist keine Lösung
Meine Sicht: Nicolas Šustr über den Umgang mit obdachlosen Menschen
Innerhalb weniger Stunden fasste Lichtenbergs Sozialstadtrat Kevin Hönicke (SPD) den Beschluss, das Camp an der Rummelsburger Bucht zu räumen. Es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe dafür, nämlich Lebensgefahr für die Bewohner. Die Kälte war es eigentlich nur indirekt, eher das Mittel der in den Zelten Lebenden dagegen: Feuerchen machen, und zwar drinnen. Einerseits kann ein unkontrollierter Brand ausbrechen, der sich schnell über die dicht an dicht gestellten Verschläge und Zelte ausbreiten könnte. Ebenso lebensgefährlich sind mögliche Kohlenmonoxidvergiftungen. Viele Menschen sind schon wegen defekter Kamine oder Öfen im Schlaf gestorben.
Insofern ist Hönicke seiner gesetzlichen und menschlichen Fürsorgepflicht nachgekommen. Allerdings hätte er das auch schon einige Wochen früher haben können. Weniger überfallartig und planvoller. Das wäre vielleicht nicht so massiv als schlechter staatlicher Umgang mit Schutzbedürftigen herübergekommen.
Allerdings sollte man auch der Versuchung widerstehen, das Camp als Freiraum zu romantisieren. Es ist eine Zwangsgemeinschaft von Menschen, die keine andere Form der Unterkunftsmöglichkeiten sahen. Aus vielfältigen Motiven und unter leider erbärmlichen Verhältnissen. Da darf ein Sozialstaat nicht achselzuckend zusehen. Es wird immer Menschen geben, die tatsächlich nicht in festen Häusern wohnen wollen oder das aus psychischen Gründen nicht können. Aber doch nicht in dieser Menge Tausender Menschen in Berlin.
Es fehlen immer noch die Räume und Programme, um alkoholkranke oder drogenabhängige Menschen geschützt und für Hilfen erreichbar unterzubringen. Und nein, sie in U-Bahnhöfen sitzen zu lassen, ist keine Lösung. Housing First, der Ansatz, erstmal die Menschen in eine Wohnung zu bringen und dann anzufangen, die restlichen Probleme anzugehen, muss vom Pilotprojekt zum massiv ausgeweiteten Standardprogramm werden. Einfach laufen lassen ist keine Lösung.
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