- Kommentare
- Filibuster
Jetzt braucht es Demokraten-Mut
Die Filibuster-Regel im US-Senat muss abgeschafft werden, sagt Moritz Wichmann
Es gibt unter US-Linken ein Sprichwort: Die Demokraten bringen zu einer Schießerei immer ein Messer mit. Oder anders gesagt: Ob die sich die multi-ethnische Demokratie in den USA durchsetzen kann oder wir weitere Jahre fortgesetzte weiße republikanische Vorherrschaft erleben, hängt davon ab, ob die Demokraten den Mut aufbringen, den Filibuster abzuschaffen oder auszusetzen und dann umfangreiche Demokratie-Reformen beschließen. Die würden das Spielfeld soweit egalisieren, dass weiße rechte Wähler und die Republikaner kaum systematische Wahlvorteile haben.
Beim letzten zehnjährigen Zuschnitt der Wahlkreise 2011 verabschiedeten die Republikaner so aggressiv manipulierte Wahlkreiszuschnitte mit der Gerrymandering-Technik, dass selbst die blaue Demokraten-Welle bei den Zwischenwahlen 2018 diese in mehreren Staaten wie Wisconsin nicht brechen konnte. Dort und in rund einem halben Dutzend anderer Staaten verpassten die Demokraten eine Mandatsmehrheit, obwohl sie staatsweit eine Mehrheit der Stimmen erringen konnten.
Weil die Staatsparlamente aber auch die Wahlkreise zum landesweiten Repräsentantenhaus festlegen, ist es für die Macht über das US-Repräsentantenhaus und jegliche Sozialgesetzgebung etwa nicht unwichtig, wer die Mehrheit in Staatsparlamenten innehat. Weil das Land so gespalten und die Mehrheitsverhältnisse derzeit so knapp sind, könnten 2022 schon ein Dutzend in wenigen Staaten manipulierte Kongresswahlkreise ausreichen, um den Republikanern eine Mehrheit im US-Repräsentantenhaus zu ermöglichen.
Denn wo Donald Trump mit aggressivem Prozessieren und über 80 Klagen gescheitert ist, machen die Republikaner nun weiter. Sie nutzen Trumps große Lüge vom »Wahlbetrug« dafür eine neue Runde an Wahlrechtseinschränkungen zu legitimieren und zu planen. Über 100 Gesetze in 28 Bundesstaaten haben die Republikaner seit Anfang 2021 in Parlamente eingebracht, etwa um Briefwahl einzuschränken sowie die Registrierung neuer Wähler zu erschweren. Die Demokraten haben mit dem »For The People Act« oder H.R.1. Dagegen schon ein Gesetzespaket parat, was solche Praktiken durch Bundesgesetzgebung verbieten würde.
Doch sie haben nur eine Mehrheit von 51 Stimmen im US-Senat, der Filibuster aber macht 60 Stimmen nötig. Doch er ist nur eine Verfahrensregel, kann mit einfacher Mehrheit geändert werden – wenn die Demokraten den Mut dafür haben. Bis jetzt haben sie sich darum gedrückt beziehungsweise die Entscheidung vertagt, wollen das neue Hilfspaket gegen die Coronakrise am Filibuster vorbei mittels Haushaltsgesetzgebung verabschieden. Doch die Debatte in den USA läuft, bald wird die Partei sich entscheiden müssen. Die Erstürmung des US-Kapitol Anfang Januar, wo die demokratischen Institutionen nur gerade eben den rechten Putsch aufhielten, hat gezeigt: Nur den Status quo der politischen Ordnung zu verteidigen reicht nicht, die Demokratie in den Vereinigten Staaten muss ausgebaut werden. Um es mit Willy Brandt zu sagen: »Mehr Demokratie wagen!«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.