Nach der Kündigung ist vor dem schlechteren Vertrag
In Großbritannien gibt es immer mehr Proteste und Streiks gegen eine arbeitnehmerfeindliche Strategie vieler Unternehmen
Als wäre die gesundheitspolitische Situation in Großbritannien durch die Coronakrise nicht schon schwierig genug, nimmt seit Jahresbeginn auch die Unsicherheit auf dem Arbeitsmarkt zu. Große Konzerne wie die Warenhauskette Debenhams schließen ihre Tore und setzen Zehntausende Arbeitskräfte auf die Straße. Andere sehen in der Krise eine Chance für Angriffe auf Arbeitnehmerrechte und tarifvertragliche Bestimmungen. Sei Beginn des Jahres macht auf der Insel ein neuer Begriff die Runde: »Fire and rehire«, also »Feuern und wieder anheuern«. Das bedeutet, ganze Belegschaften werden gekündigt, anschließend werden ihnen neue Arbeitsverträge mit schlechterer Entlohnung, längeren Arbeitszeiten und niedrigerem Krankengeld vorgelegt.
Laut einer Studie des britischen Gewerkschaftsbundes TUC ist einer von zehn Beschäftigten davon betroffen. Besonders stark Niedriglohn- und Industriejobs sowie junge Menschen oder Arbeiter mit Migrationshintergrund. Den Angaben zufolge sorgen sich 38 Prozent aller Befragten um ihren Arbeitsplatz, so der Gewerkschaftsverband.
Geräuschlos geht die Umwandlung von Jobs jedoch nicht immer über die Bühne. Immer öfter kommt es zu Urabstimmungen über Streiks. Der größte Arbeitskampf entwickelt sich derzeit beim privatisierten Energiekonzern British Gas. 22 000 Installateure und Ingenieure streikten bis in die erste Februarwoche, bereits Anfang Januar hatten sie neun Tage ihre Arbeit niedergelegt. In einer Urabstimmung hatten zuvor 89 Prozent der Belegschaft für Arbeitskampfmaßnahmen gestimmt - ein deutliches Votum gegen den geforderten Lohnverzicht von 15 Prozent. Die vom Unternehmen vorgelegten neuen Arbeitsverträge wurden inzwischen öffentlichkeitswirksam vor laufenden Kameras von den Streikenden verbrannt. Für den gesamten Februar sind Streiks angekündigt.
Ihre Proteste finden andernorts Nachahmer. Ende Januar begann die Gewerkschaft UNITE eine Urabstimmung unter 500 beim Konzern »Go North West« angestellten Busfahrern in Manchester. Auch hier will die Unternehmerseite das »Feuern und wieder anheuern« durchdrücken. Die neuen Arbeitsverträge sehen unter anderem eine zehnprozentige Gehaltskürzung, längere Arbeitszeiten sowie Kürzungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall vor. Letzteres ist besonders zynisch, zählen Busfahrer doch zu der am meisten von Corona-Ansteckungen betroffenen Berufsgruppe. Sollte in der Urabstimmung für Streiks votiert werden, könnten erste Arbeitsniederlegungen noch Ende Februar beginnen.
Auch der Handel probiert es mit dubiosen Methoden. Gleich zu Beginn der Corona-Pandemie hatte der Möbelhauskonzern Wilko angekündigt, die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall zu kürzen. Bislang können Beschäftigte insgesamt vier Mal jährlich mit Lohnfortzahlung in den Krankenstand gehen. Zukünftig soll nur noch ein bezahlter Krankenstand pro Jahr möglich sein. »Wilko-Beschäftigte haben während dieser Pandemie sich selbst und ihre Familien in Gefahr gebracht, um die Geschäfte offen zu halten«, sagte Roger Jenkins von der -Gewerkschaft GMB gegenüber Lokalmedien. »Zusammen mit anderen Einzelhandelsangestellten mussten sie mit einem Mangel an sozialer Distanz, zunehmenden Drohungen und Beschimpfungen von Kunden umgehen.« Statt dafür belohnt zu werden, werde nun das Krankengeld gekürzt. Auch hier ist eine Urabstimmung angekündigt.
Dass Erfolge möglich sind, zeigten Beschäftigte am Flughafen London-Heathrow und beim Luftfrachtdienstleister British Airways Cargo, die in der Gewerkschaft Unite organisiert sind. Nachdem der Konzern schlechtere Arbeitsverträge durchsetzen wollte, gab es zum Jahresende einen neuntägigen Streik, der im Januar fortgesetzt werden sollte. Doch British Airways Cargo hat den wesentlichen Forderungen der Gewerkschaft inzwischen nachgegeben. Die alten Arbeitsverträge erhalten wieder ihre Gültigkeit. Beschäftigte, die bereits einen neuen, schlechteren Vertrag unterschrieben haben, werden wieder zurückgestuft.
Auch auf parlamentarischer Ebene war die Praxis der »Fire and rehire« mittlerweile Thema. Ende Januar brachte die oppositionelle Labour-Partei im Londoner Unterhaus einen Antrag auf ein Verbot dieser Methode ein. Die konservative Tory-Regierungsfraktion blieb der rechtlich nicht bindenden Abstimmung fern.
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