Menschliche Zerrissenheit in einem einzigen Augenfunkeln

Zum Tod des großen Schauspielers Christopher Plummer

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.

In »The Sound Of Music«, dem Film, mit dem Christopher Plummer 1965 als österreichischer Kapitän Georg von Trapp bekannt wurde, gibt es diese berühmte Szene, in der er der neuen Kinderfrau erklärt, sie solle seine sieben Kinder mit bestimmten Pfiffen aus einer Pfeife herbeirufen, worauf die Kinder jeweils mit Pfiff und Namen vorgestellt werden und auch die Haushälterin erhält einen speziellen Pfiff. Die Frau ist entsetzt, sie wolle die Kinder bei ihren Namen nennen, man pfeife nur nach Hunden und Katzen, nicht nach Kindern, und bestimmt nicht nach ihr. Von Trapp besteht aber darauf und als er das Zimmer verlassen will, pfeift sie ihm mit der Pfeife hinterher. Er habe vergessen, ihr den Pfiff zu zeigen, mit dem sie ihn herbeipfeifen könne. Trapp, alias Plummer in Großaufnahme, antwortet nachdrücklich, er präferiere es, mit »Captain« angesprochen zu werden und in dieser Szene, die nur funktionieren kann, wenn der Schauspieler den ersten Riss im Selbstverständnis der Figur überzeugend darstellt, zeigt sich die große Klasse Plummers, denn in dem Blick, den er der jungen Frau zuwirft, blitzt seine ungebrochene Autorität genauso wie die Irritation über die Frechheit der Aufmüpfigen und die Erkenntnis, dass sie vielleicht irgendwie recht haben könnte. Plummer löst die Aufgabe bravourös.

Von dem Film, der ihn zum Star machte, distanzierte er sich später, verunglimpfte das Musical nicht zu Unrecht als sentimentalen Kitsch und »Sound of Mucus« (mucus engl. etwa »Schleim«). Plummer war danach jahrzehntelang fester Bestandteil der Starriege Hollywoods und die auch in der Trapp-Figur angelegte Mischung aus Charme, Arroganz, bösem Humor, Intelligenz und der Fähigkeit, solche Eigenschaften trotz ihrer Ambivalenzen in einem Augenfunkeln zusammenzuhalten, wurde eines seiner Markenzeichen.

Plummer, der nahe Toronto aufwuchs, hatte seine ersten Auftritte am Broadway und im Fernsehen, sein Kinodebüt gab er 1958 in »Stage Struck« an der Seite von Henry Fonda. Neben Kino- und Fernsehrollen spielte Plummer Theater, bevorzugt Shakespeare. Für seine Hauptrollen in Cyrano und Barrymore erhielt er 1974 und ’97 jeweils den Tony-Award als bester Schauspieler, also das Theater-Pendant zum Oscar.

Plummer hat in seinen späten Jahren auch für ihn untypische Rollen übernommen, in »Beginners« spielt er den versteckt Homosexuellen Vater Hal mit großer Freude und Überzeugung. »Beginners« ist gewissermaßen ein Senioren-Coming-of-age und der Oscar für den damals 82-jährigen Plummer als Vater Hal krönte seine großartige Darstellung in dem Film, wie auch seine gesamte Kino-Karriere. Die ist nicht arm an Höhepunkten, zu denen etwa sein Sir Litton im »rosaroten Panther« (1975) gehört, aber auch seine Darstellung des Journalisten Rudyard Kipling in »Der Mann, der König sein wollte« (1975), seine Rolle als General Chang in »Star Trek IV« (1991), oder sein Auftritt als schräger Leo Tolstoi in »Ein russischer Sommer« von 2009.

2018 übernahm er die Rolle als Jean Paul Getty in Ridley Scotts »Alles Geld der Welt« - nur wenige Wochen, bevor der Film in den Kinos starten sollte. »Alles Geld der Welt« war mit Kevin Spacey als Getty bereits abgedreht, als die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Spacey Scott dazu veranlassten, die Szenen mit Spacey aus dem Film zu entfernen und sie nachzudrehen, eben mit Plummer als Getty, dem seine spontane Darstellung schließlich einen Golden Globe und eine weitere Oscar-Nominierung bescherte.

In der starbesetzten Krimikomödie »Knives Out« spielte Plummer schließlich mit dem verblichenen Schriftsteller Halan Thombey einen allgegenwärtigen Toten, zu dessen Testamentseröffnung sich die ganze feine Familie einfindet.

»Schauspielerei ist niemals langweilig«, sagte Plummer dem britischen Guardian 2018 in einem Interview. »Wir schimpfen alle ab und zu darüber, weil es oft harte Arbeit ist, aber es ist niemals langweilig. Niemals.« Bis zuletzt lehnte er es strikt ab, in den Ruhestand zu gehen.

Christopher Plummer starb am 5. Februar 2021 in Weston, Connecticut, an den Folgen eines schweren Sturzes und einer dabei erlittenen Kopfverletzung, wie seine Witwe Elaine Taylor mitteilte. Er wurde 91 Jahre alt.

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