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- Flüchtlinge und Frontex
Ein permanenter Rechtsbruch an den EU-Außengrenzen
Die Europäische Union verstößt in ihrer Flüchtlingsabwehr gegen eigene juristische Grundsätze
Wenn es um die Lage der Flüchtenden an Europas Außengrenzen geht, werden oft moralische Argumente bemüht, um zu verdeutlichen, warum endlich etwas getan, den Menschen geholfen werden muss. Diese sind absolut notwendig angesichts des humanitären Versagens. Was aber auffällt: Das Recht wird als Argument für den europäischen Flüchtlingsschutz kaum noch gebraucht. Vielleicht auch, weil die Flüchtlingspolitik der Europäischen Union vor allem eines ist: ein permanenter Rechtsbruch.
Dieser manifestiert sich darin, dass Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union in bosnischen Wäldern und Ruinen leben, keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, sanitären Anlagen, medizinischer Versorgung und Bildung haben. Er manifestiert sich auch, wenn Rückweisungen durch die EU-Staaten gebilligt werden. Die NGO Mare Liberum zählt alleine 321 Vorfälle in der Ägäis, bei denen 9.798 Personen zurückgedrängt worden sind. Griechenland, Kroatien und Slowenien übertreffen sich darin, wer die meisten Flüchtlinge aus der Europäischen Union werfen kann. Die dortige Polizei bringt sie einfach wieder nach Bosnien-Herzegowina oder in die Türkei zurück - ohne ihr Asyl zu prüfen. Eine Prüfung steht den Schutzsuchenden nach der Genfer Flüchtlingskonvention aber zu.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Rechtswidrigkeit dieser Politik: unzweifelhaft. Die Konsequenzen: kümmerlich. Auch wenn Brüssel seit Jahren von dieser rechtswidrigen Politik weiß, wird nichts unternommen, um sie zu stoppen. Das Kalkül der europäischen Flüchtlingspolitik scheint zu sein: Wenn die Lage nur elend genug ist, werden die Menschen aufhören zu fliehen.
Es ist aber sehr schwierig, das Elend in Ländern wie Pakistan, Afghanistan und Bangladesch noch zu übertreffen. Selbst ein permanenter Rechtsbruch wird dafür nicht reichen. Dass sich nun die Internationale Organisation für Migration zu illegalen Rückweisungen geäußert hat und von der EU fordert, diese Rechtsbrüche einzustellen, ist ein gutes Zeichen. Auch, weil diese Organisationen ihre Rolle allzu oft in der bloßen Bereitstellung von Hilfe sieht, ohne auf die politischen Missstände hinzuweisen. Als sei eine solche Haltung nicht selber schon längst Politik Dass es auf Druck von Linken und Grünen nun zu einer Untersuchung des Innenausschusses des Europäischen Parlaments zur Grenzagentur Frontex kommt, ist ebenfalls eine gute Nachricht. Doch die Gefahr bleibt, dass es eben schneller ist, einen Rechtsbruch zu begehen, als ihn auf juristischem Wege zu stoppen.
Das Asylrecht ist zu einem großen Teil eine Konsequenz aus den Schrecken des der Nazi-Herrschaft. Die Genfer Flüchtlingskonvention entstand auf der Asche des Zweiten Weltkrieges. Ihre Grundlagen sollten der Barbarei Einhalt gebieten. Man würde gut daran tun, sich ihrer heute noch zu erinnern. Doch auch aktuelle Rechtsprechungen betonen immer wieder, wie weit sich Europa davon entfernt hat, Flüchtlinge nach geltendem Recht zu behandeln. Sie alle finden kein Gehör. Denn die EU-Flüchtlingspolitik ist seit einiger Zeit darauf reduziert worden, die Anzahl der Menschen, die Zuflucht suchen, auf null zu drücken. Als sei dieses Ziel angesichts von 80 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht ein realistisches, gar ein mit humanitären Mitteln zu erreichendes.
Natürlich ist ein Gesetzestext keine klare Anweisung zu einer bestimmten Politik – aber im Falle der Menschenrechte ist deren Wahrung ein klares Gebot an politisches Handeln. Selbstverständlich ist Recht auch nichts statisches. Und so ist auch das geltende Recht noch überhaupt nicht in der Lage, das Problem der Migration zu lösen. Es müsste verändert werden in einem Sinne, welches die Freizügigkeit der Menschen zu einem fundamentalen Recht macht. Kein Mensch sucht sich seinen Geburtsort aus. Jeder Mensch sollte mindestens den Anspruch haben, sich den Ort, an dem er leben, arbeiten, sterben oder nur nicht sterben will, auszusuchen.
Auch kann es nicht länger sein, dass der einzige Weg, Asyl zu bekommen, für die meisten Menschen aus dem Dreiklang irregulärer Einreise, Amnestie und Asylprüfung besteht. Es bräuchte humanitäre Visa, mit denen die Menschen in der Lage wären, in ein Land ihrer Wahl zu reisen, dort Asyl zu beantragen und sich für die Dauer der Asylprüfung dort aufzuhalten.
Bis dahin wäre aber schon einiges getan, wenn sich Europa nur an sein geltendes Recht halten würde.
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