Profit statt Denkmalschutz

Am Flugplatz Johannisthal soll ein Großteil des historischen Gebäudebestands dem Wohnungsbau weichen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
Noch stehen die denkmalgeschützten Hallen 1 bis 4, die den Wohnungsbauplänen auf dem Areal des Flugplatzes Johannisthal weichen sollen.
Noch stehen die denkmalgeschützten Hallen 1 bis 4, die den Wohnungsbauplänen auf dem Areal des Flugplatzes Johannisthal weichen sollen.

»Das Land Berlin belohnt mit maximaler Bebauung, dass die Eigentümer fast 20 Jahre die unter Denkmalschutz stehenden Gebäude haben verrotten lassen«, sagt Nils Schultze zu »nd«. Er setzt sich für zahlreiche Denkmäler in Treptow-Köpenick ein. In diesem Fall geht es um die Flächen des ehemaligen Flugplatzes Johannisthal. 21 Hektar, das entspricht fast 30 Fußballfeldern, misst die von Segelflieger- und Groß-Berliner Damm gefasste Fläche.

Im März soll nach nd-Informationen der Bebauungsplan für eine zwölf Hektar große Teilfläche ausgelegt werden. 1.800 Wohnungen sollen dort entstehen. Für sie sollen nicht nur die zahlreichen zum Teil ruinösen Gebäude des Areals weichen, auf dem zu DDR-Zeiten der VEB Kühlautomat produzierte, sondern auch die noch stehende, denkmalgeschützte und beeindruckende Halle 4. Dabei sah der prämierte Entwurf des Büros Freie Planungsgruppe Berlin noch deren Erhalt vor. Die Stadtentwicklungsverwaltung habe jedoch entschieden, an Stelle der rund 140 Meter langen und 30 Meter breiten Gewerbehalle einen viergeschossigen Neubau mit den gleichen Abmessungen zuzulassen, da »bei einem Erhalt der Halle 4 die mit den Vertretern der Erbengemeinschaft in einem Grundlagenvertrag vereinbarte Geschossfläche nicht zu realisieren wäre«, wie es in einem Bericht des Bezirksamts Treptow an den Bezirksdenkmalrat vom Dezember 2020 heißt.

»Da wurde also vorher schon Profit versprochen«, sagt Denkmalschutzenthusiast Schultze. Und zwar bereits 2016, als noch der jetzige Innensenator Andreas Geisel (SPD) in der rot-schwarzen Koalition das Stadtentwicklungsressort verantwortete. »Als erster Schritt wurde zwischen dem Land Berlin und den Vertretern der Grundstückseigentümer am 07.07.2016 eine Grundlagenvereinbarung unterzeichnet, die die Grundzüge der Nutzung und Erschließung definiert«, heißt es im Bericht an den Denkmalschutzrat. Die Stadtentwicklungsverwaltung bestätigt das.

»Es ist ein Trauerspiel, wie mit dem geschichtsträchtigen Gelände umgegangen wird. Dabei wurde es schon zu DDR-Zeiten unter Denkmalschutz gestellt«, sagt Stefan Förster zu »nd«. Er ist Sprecher für Bauen, Wohnen und Denkmalschutz der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus und auch Vorsitzender des Bezirksdenkmalrats Treptow-Köpenick. »Man muss mit den Eigentümern noch einmal sprechen, vielleicht auch mit sanftem Druck, ob nicht mehr erhalten werden kann.«

Der 1909 eröffnete Flugplatz ist die Wiege der Motorluftfahrt in Berlin. Arthur Müller gründete Ende 1912 dort die Luftverkehrsgesellschaft, später stellte er auch Flugzeuge her. Mehr als ein Viertel der rund 48.000 im Ersten Weltkrieg vom Deutschen Reich benutzten Flugzeuge wurden hier produziert. 1919 begann dort die Geschichte der zivilen Luftpost in Deutschland mit der Linie Berlin-Weimar. Mit der Eröffnung des Flughafens Tempelhof 1923 sank die Bedeutung. In der Nazizeit wurde Johannisthal als Versuchsfeld für die geheime Aufrüstung der Wehrmacht genutzt.

»Die Gebäude der Luftfahrtforschung aus der Nazizeit sind alle erhalten und renoviert worden, die bedeutenden Denkmale des Beginns des Fliegens sollen restlos beseitigt werden«, kritisiert Schultze. Seine größte Kritik ist, dass nichts mehr an den Flugplatz erinnern wird, wenn der Bebauungsplan rechtskräftig wird. »Nicht einmal eine Minimalvariante, bei der historische Grundrisse und Straßenführungen erkennbar bleiben, wurde vorgeschlagen. Tatsächlich wird alles auf maximale Verwertung mit Wohnungen zugeschnitten«, so Nils Schultze.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm zunächst die Sowjetarmee das Areal für ein Jahr als Flugplatz, bevor sie nach Schönefeld wechselte. Auch eine Kaserne des Wachregiment Feliks Dzierzynski der DDR-Staatssicherheit befand sich auf dem Areal. Der Wachturm, der jenen an der innerdeutschen Grenze entspricht, steht nach wie vor, Denkmalschutz genießt er nicht. 1995 endete die Geschichte als Flugplatz mit einem Flugtag.

Die 1950 begonnene des VEB Kühlautomat endete 1996 mit dem Umzug nach Reinickendorf nach der Übernahme durch ein anderes Unternehmen. 2002 wurde die Fläche an Erben des 1935 verstorbenen Arthur Müller restituiert. Seine Witwe Thekla Müller, Jüdin wie ihr Mann, wurde von den Nazis gezwungen, den Besitz in Treuhänderschaft zu übergeben oder unter Wert zu verkaufen. Sie emigrierte 1941 in die USA.

»Wie konnte es die bezirkliche Denkmalschutzbehörde zulassen, dass seit 2002 die geschützten Bauten einfach dem Verfall preisgegeben worden sind? Es gab doch mit der Erbengemeinschaft einen Ansprechpartner«, will Nils Schultze wissen. Fotos von 1999 zeigen, dass damals vieles noch intakt war. Zum allgemeinen Verfall kamen noch diverse Brände dazu, bei denen weitere Gebäude unwiederbringlich zerstört worden sind. »Leider gab es trotz der Restitution eben keinen (einheitlichen) Ansprechpartner, sondern eine Erbengemeinschaft«, entgegnet dazu der auch für den Denkmalschutz zuständige Baustadtrat von Treptow-Köpenick, Rainer Hölmer (SPD).

Vor ziemlich genau einem Jahr hat der Berliner Projektentwickler Bauwert den Anteil des englischen Erbenzweigs von Arthur Müller gekauft und hält nun die Hälfte der Anteile der Fläche. Es scheint also etwas zu holen zu geben. Der Rest gehört über eine Stiftung den Erben aus den USA.

Einige Gebäude sollen erhalten werden, unter anderem das der Direktion sowie eine benachbarte Halle, in die eine Kita ziehen soll. Die teure denkmalgerechte Sanierung dürfte also am Land Berlin hängenbleiben.

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