Wahlen nach dem Höhepunkt der dritten Welle

Trotz hoher Inzidenz lehnte das Oberlandesgericht in Katalonien die Verschiebung der Abstimmung auf Ende Mai ab

  • Ralf Streck, Barcelona
  • Lesedauer: 3 Min.

Bis auf die katalanischen Sozialdemokraten waren sich ausnahmsweise alle anderen im aufgelösten Parlament einig: Verschiebung der Wahlen auf den 30. Mai, damit sich die Pandemielage unterstützt durch die Impfkampagne verbessern kann.

Zwei Zahlen machen die Ansteckungsangst in einer Region deutlich, in der sich die aggressivere britische Virus-Variante stark verbreitet. Fast 300 000 Menschen haben Briefwahl beantragt. Das sind drei Mal so viele wie beim bisherigen Rekord im Jahr 2015. Besondere Angst haben Wahlhelfer, die sich den gesamten Tag in Wahllokalen aufhalten müssen. Fast 28 000, gut ein Drittel aller bestellten Helfer, hat einen Antrag auf Befreiung gestellt. So wird erwartet, dass nicht alle Wahllokale geöffnet werden können. Die geschäftsführende Regierung war zwischenzeitlich besorgt, ob am Sonntag das Ergebnis verkünden könne. Davon geht sie nun aber wieder aus, da das Personal für 99 Prozent der Wahllokale gesichert sei.

Erwartet wird, dass die Wahlbeteiligung deutlich zurückgehen wird. Das macht das Argument zweifelhaft, mit dem das Oberlandesgericht entschieden hat, das Dekret zur Verlegung der Wahlen zu kippen. Nach Meinung der Richter sei es von »allgemeinem Interesse«, jetzt zu wählen, um das »Wahlrecht« als »Grundrecht« zu sichern und nicht in eine unsichere Lage zu kommen.

Da die Entscheidung erst am 29. Januar fiel, blieb kaum Zeit, um zum Beispiel das Wahlrecht der im Ausland lebenden Katalanen zu sichern. Nur sechs Prozent der 255 000 im zuständigen Register eingeschriebenen Personen haben es geschafft, die Wahlunterlagen zu bekommen, die zudem fristgerecht ankommen müssen.

Klar ist, dass die Lage in der Pandemie nun nicht ganz so schlecht wie befürchtet ist. Nicht am Höhepunkt der dritten Welle werden die Wahlen stattfinden, sondern kurz danach. Trotz sinkender Zahlen ist die Lage aber mit einer 14-Tage-Inzidenz von 458 pro 100 000 Einwohner bedenklich. In einigen Regionen liegt sie sogar über 1000. Dass am Donnerstag weitere 114 Coronavirus-Tote in 24 Stunden registriert wurden, trägt nicht zur Beruhigung bei angesichts der 7,5 Millionen Einwohner. Auch der Druck auf den Hospitälern ist weiter hoch und die Zahl der Covid-Patienten auf Intensivstationen mit 668 nur knapp unter dem Höchststand der dritten Welle.

Auch politisch sind es besondere Wahlen, da die eigentlichen Protagonisten nicht zur Wahl stehen. So kann Oriol Junqueras, der Chef der Republikanischen Linken (ERC) nicht erneut kandidieren, da er wegen angeblichem Aufruhr zu einer Haftstrafe von 13 Jahren verurteilt wurde. Die ERC schickt mit Pere Aragonès ihren bisherigen Vize ins Rennen. Sie erwartet einen Wahlsieg, um erstmals stärkste Kraft im katalanischen Parlament zu werden, erklärte das ebenfalls inhaftierte ERC-Führungsmitglied Raül Romeva gegenüber dem »nd«.

Der ehemalige Präsident Carles Puigdemont, der in Gemeinsam für Katalonien (JxCat) weiter die Strippen aus seinem Exil in Belgien zieht, wurde ebenfalls nicht als Präsidentschaftskandidat aufgestellt. Für die ehemalige offene Liste, die er in eine Partei umgewandelt hat, kandidiert die unabhängige Kandidatin Laura Borràs. Auch sie kann sich nach Umfragen Hoffnungen auf einen Sieg machen. Dolors Sabater, der Kandidatin der antikapitalistischen CUP wird ein Achtungserfolg vorausgesagt. Als Block hoffen die Unabhängigkeitsparteien erstmals mehr als 50 Prozent der Stimmen zu erhalten.

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