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Fake News aus dem Norden
JEJA NERVT: Über einen querdenkenden Nordkurier
Fake News und Hofberichterstattung für die Querdenken-Bewegung: über den »Nordkurier« hatte es in den letzten Wochen einiges an Aufregung gegeben. Die Tageszeitung im Bereich Mecklenburg-Vorpommern und dem Norden Brandenburgs leistet sich eine »Textchefin«, die im Blatt verschwörungsideologisches Powerposting betreibt. Aktueller Höhepunkt: ein geheimes Schreiben des Bundeskriminalamts (BKA) aus dem Herbst, aus dem höchst eigenwillig zitiert wurde, um dem BKA die eigene verquere Realitätsauffassung unterzujubeln. »Linke Gegner das Gefährlichste an Querdenken-Demos«, hieß es im Blatt. Weil sich mittlerweile auch journalistische Kolleg*innen um das Abdriften der Zeitung sorgen, wittert man dort bereits die nächste Episode einer »Cancel Culture«. Chefredakteur Jürgen Mladek stellte sich demonstrativ vor seine irrlichternde Kollegin - und ließ durchblicken, dass beim Nordkurier der Fisch vom Kopfe her schwurbelt.
In dem BKA-Schreiben von Ende November steht, dass gewaltbereite Antifaschist*innen Teilnehmende von Querdenken-Kundgebungen angreifen könnten, und zwar »neben tatsächlichen ›Rechten‹ auch Personen«, die »irrtümlicherweise« für Nazis gehalten würden. Das interpretierte Simone Schamann im »Nordkurier« wie folgt: »Mit anderen Worten: Eines der größten Risiken auf Querdenken-Demos ist, dass ganz normale Bürger von Linksradikalen angegriffen werden - weil diese sie für Nazis halten.« Dabei wird an anderer Stelle, die Schamann nicht zitiert, vor der voranschreitenden Radikalisierung von Einzelpersonen und Kleinstgruppen der Querdenken-Bewegung genauso gewarnt wie vor der dokumentierten Teilnahme und der Mobilisierung aus dem rechtsextremen Spektrum, Gewaltvorfällen oder der Verharmlosungen des Holocaust. Schamann jedoch behauptet, das interne Schreiben lasse »das Rechts-Narrativ um die Bewegung jetzt also kollabieren«. Sie suggeriert, auch das BKA sei der Auffassung, in Wahrheit hätten Linke hinter den Ausschreitungen bei einer Querdenken-Demo im November in Leipzig gesorgt. Dabei war die Berichterstattung über die Angriffe von Neonazis damals mit eindeutigen Videobelegen untermauert.
Anders formuliert: Nur wer die Realität aus politischen Gründen umdeuten möchte, kann auf die Idee kommen, in Leipzig hätten Linke und nicht Querdenker selbst Ausschreitungen angezettelt. Das BKA-Schreiben will Schamann übrigens über eine »Whistle-Blower-Seite« bezogen haben. Dabei handelt es sich bei der Website von Mutigmacher e.V. bloß um eine von unzähligen Schwurbel-Websites aus dem Internet. Den Anschein von Relevanz erzeugen die »Whistle Blower« auch hier durch Interviewformate mit bestehenden Medienprojekten. Die »Mutigmacher« waren genauso bei Verschwörungsguru Ken Jebsen zu Gast wie bei Exomagazin.tv, eine Nachrichtenseite, die über die außerirdische Präsenz auf der Erde aufklärt. In anderen Beiträgen werden Tipps zur Umgehung des Maskenzwangs oder wirre Schreiben an Angela Merkel veröffentlicht - kurzum: hier werden die bekannten Meinungsäußerungen, die auf der Grenze zum Realitätsverlust tänzeln, zum Whistleblowing aufgeblasen.
Die Offenheit, mit der die Kollegin ihre Weltsicht kundtut, ist indes noch gestiegen. So drohte ein bekannter Szeneanwalt der Regierung mit Umsturz. Schamann bat den Mann, »natürlich«, zum »Nordkurier«-Interview. Ihren Kritiker*innen antwortete sie in einem diesmal offenen Meinungsbeitrag: »Linke Querdenken-Hasser wollen es nicht wahrhaben«. Und die Studie über die Ansteckungen durch Querdenker-Demos? »Propaganda.«
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