Unterrichten im Winter der Pandemie

Wie Lehrer in Berlin und Brandenburg Präsenzunterricht unter Corona-Bedingungen meistern.

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 5 Min.

Alle 15 bis 20 Minuten wird es frostig kalt im Klassenzimmer. Das haben die Schüler inzwischen verinnerlicht. Wenn Hartmut Stäker auch nur in Richtung der Fenster blickt, so erzählt es der Pädagoge, mummeln sich alle Schülerinnen und Schüler vor ihm in ihre dicken Winterjacken ein – auch Handschuhe und Mützen sind in Windeseile aus der Tasche hervorgekramt. »Bei den Minustemperaturen zurzeit mache ich die Fenster nur kurz zum Stoßlüften auf«, sagt Stäker. »Auch wenn es unangenehm ist, die Schüler wissen, dass wir das zum Gesundheitsschutz machen müssen.«

Stäker ist Lehrer am Oberstufenzentrum (OSZ) Dahme-Spreewald in Lübben. Dort unterrichtet er die 12. und 13. Klasse im Bildungsgang »Berufliches Gymnasium« in den Fächern Recht und Betriebswirtschaftslehre. Seine Schülerinnen und Schüler kommen täglich zum Unterricht. In Brandenburg besteht auch im Lockdown für Abschlussklassen Präsenzpflicht. Das heißt konkret: Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10, 12, 13 und Auszubildende im letzten Ausbildungsjahr drücken die Schulbank. Auch Förderschulen mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt »geistige Entwicklung« sind geöffnet, sofern eine Allgemein- oder Einzelverfügung eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt es nicht anderes will. Alle anderen Jahrgänge werden in Brandenburg derzeit im digitalen Homeschooling unterrichtet.

Stäker, der auch Präsident des Brandenburgischen Pädagogen-Verbandes ist, findet diese Regelung grundsätzlich gut. »Auch wenn der Distanzunterricht im zweiten Lockdown in der Regel funktioniert, ist der physische Kontakt zwischen Lehrern und Schülern im Klassenraum doch noch einmal etwas anderes«, sagt er. Klar, das Infektionsrisiko sei viel größer als im Homeschooling. Es müsse aber gerade für die Abiturklassen alles getan werden, damit diese trotz widriger Bedingungen die allgemeine Hochschulreife erwerben können, findet er. »Es darf auf keinen Fall ein Corona-Not-Abi geben, das von den Universitäten dann nicht als gleichberechtigter Schulabschluss wie der von anderen Jahrgängen angesehen wird.« Für richtig hält er den Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK), die Abiturprüfungen stattfinden zu lassen. Angemessen sei auch, dass es Erleichterungen für die Abiturientinnen und Abiturienten – wie mehr Aufgaben zur Auswahl oder eine Wiederholung ohne Zeugnisvermerk – geben soll. Denn der derzeit stattfindende Präsenzunterricht hat mit dem Unterricht, wie man ihn für gewöhnlich aus der Schule kennt, nicht viel gemein. Und das liegt nicht nur am permanenten Lüften und an der Maskenpflicht auf dem Schulgelände, wie Stäker aus eigener Erfahrung erzählen kann. In seiner Klasse hat er insgesamt 30 Schülerinnen und Schüler. In die Räume, die er zur Verfügung hat, passen zehn Jugendliche in angemessenem Abstand und eigenem Tisch. Das bedeutet: Der Lehrer muss in 90 Minuten Unterrichtseinheit immer wieder zwischen drei Räumen hin und her springen.

»Inzwischen klappt das ganz gut«, sagt Stäker. Er habe einen peniblen Zeitplan aufgestellt, wie lange er wo sein kann. Während er in einem der Räume lehrt, bearbeiteten die anderen Schülerinnen und Schüler Aufgaben in Stillarbeit. »Anders«, sagt er, »geht es ja nicht.« Immerhin gebe es so die Möglichkeit, während des Unterrichts Fragen zu stellen. »Und man sieht sich regelmäßig live und in Farbe.« Das sei insbesondere für diejenigen wichtig, die zu Hause nicht die technischen und räumlichen Voraussetzungen haben, um in Ruhe zu lernen. »Es geht darum, niemanden abzuhängen«, sagt der Brandenburger Lehrer.

Schülerinnen oder Schüler auf der Strecke lassen will auch in Berlin niemand. Dennoch ist in der Hauptstadt die allgemeine schulische Präsenzpflicht ausgesetzt – noch bis zum 22. Februar, wie es aktuell heißt. Für die Abschlussjahrgänge und Klassen mit besonderem pädagogischem Förderbedarf gibt es auch hier Ausnahmen. Doch anders als im Nachbarbundesland setzt man in Berlin für diese Jahrgänge nicht auf permanente Anwesenheit, sondern auf individuelle Lösungen. Soll heißen: Jede Oberschule bestimmt selbst, inwieweit von zu Hause oder im Klassenraum unterrichtet wird.

An ihrer Schule lasse man die Abiturienten zu Hause, erzählt Lydia Puschnerus, die an einem Gymnasium im Bezirk Schöneberg Englisch, Spanisch und Deutsch als Fremdsprache unterrichtet. »Die Schulkonferenz hat sich klar gegen Präsenzunterricht für die Abi-Klassen ausgesprochen, solange die Pflicht dazu ausgesetzt ist.« Sie hält das für eine gute Lösung. Der Distanzunterricht funktioniere mit den Abiturientinnen und Abiturienten. Allerdings sieht sie die Berliner Entscheidungsfreiheit bei der Präsenz-Frage insgesamt kritisch: »An den Schulen läuft das sehr unterschiedlich. Da wird es mit der Vergleichbarkeit sehr schnell wieder problematisch.«

Komplett im Homeoffice arbeitet Lydia Puschnerus dieser Tage nicht. Mehrmals die Woche geht sie in die Schule, um ihre Willkommensklasse in Deutsch zu unterrichten. »Für unsere elf Schüler aus geflüchteten Familien ist der Unterricht häufig die einzige Möglichkeit, Deutsch zu sprechen«, sagt die Lehrerin. Auf digitalem Weg könnte sie sich das nicht vorstellen. »Die Jugendlichen brauchen den Kontakt.« Natürlich mache sie sich über Infektionen Gedanken. Alle Beteiligten müssten schließlich zur Schule hin- und auch wieder nach Hause kommen, meist mit dem ÖPNV. Daher »gibt es gibt trotz aller Maßnahmen ein Risiko«. Die Entscheidung zwischen Präsenz oder Online, Schulöffnung oder Lockdown sei letztlich eine Abwägung zwischen dem Recht auf Bildung und dem Gesundheitsschutz.

Da die Lerngruppe klein sei, könne sie alle Schüler mit Abstand zusammen in einem Raum unterrichten. Und das ausschließlich frontal und stets mit Maske, um möglichst wenig Bewegung zu haben. »Die reine Wissensvermittlung klappt«, sagt Puschnerus. Alles, was mit sozialer Interaktion zu tun hat, ist wegen Corona allerdings gestrichen: kein gemeinsames Frühstück am Montag, kein gemeinsames Mittagessen, kein Fußball in der Pause. »Präsenzunterricht in Coronazeiten ist vor allem eins – statisch und unpersönlich.«

Es sei ein komisches Gefühl, durch die verwaisten Gänge zu gehen und den Schulhof ganz ohne Leben zu sehen, sagt sie. Doch auch, wenn durch die vorsichtigen Lockerungsschritte schon bald wieder mehr Schüler regelmäßig in die Schulen gehen, ist klar: »Pädagogische Konzepte wie Gruppenarbeit oder Projekttage vertragen sich nicht mit einer Pandemie«, sagt Puschnerus. Die neue Corona-Realität bleibt Schülern und Lehrern wohl noch lange erhalten.

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