Auf Kosten der Substanz
Pandemie sorgt für Notstand im unterbesetzten öffentlichen Gesundheitsdienst
Berlin. Wegen der Dauerbelastung während der Coronakrise können immer mehr Einrichtungen im öffentlichen Gesundheitsdienst ihre zahlreichen Aufgaben nur noch eingeschränkt wahrnehmen. Die Amtsärztin Gudrun Widders aus Berlin-Spandau beschrieb am Montag die Situation, die vor allem dem großen Aufwand der Nachverfolgung von Kontakten bei nachgewiesenen Corona-Fällen geschuldet sei, als dramatisch. »Wir kommen letztendlich nicht mehr zu unseren eigenen Aufgaben«, sagte sie bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Widders sprach von »schwerwiegenden Einschränkungen«, zum Beispiel in der Beratung behinderter und chronisch kranker Menschen. Familien in schwierigen Lebenslagen aufzusuchen, sei nicht mehr machbar, »zahnärztliche Untersuchungen finden gar nicht mehr statt«, so Widders. Viele Mitarbeiter*innen hätten »eine gigantische Zahl an Überstunden erreicht«, sie arbeiteten regelmäßig am Wochenende. Die Situation gehe an die Substanz. Es brauche nicht nur regulär finanziertes zusätzliches Personal, sondern auch Räume, Technik und die Voraussetzungen, um Beschäftigte ins Homeoffice zu schicken.
Auch die Vorsitzende des Berufsverbandes der Ärzte im Gesundheitsdienst, Ute Teichert, forderte am Montag eine bessere Ausstattung der Gesundheitsämter. 5000 zusätzliche Stellen habe der Bund bis Ende 2022 angekündigt. »Irgendwann muss die Phase der Aufstockung mal anfangen«, drängte Teichert in der »Stuttgarter Zeitung« und den »Stuttgarter Nachrichten«.
Die Gewerkschaft Verdi hat derweil im Namen von einer halben Million Krankenhausbeschäftigten, die in den Kliniken unter den verschärften Bedingungen der Pandemie ächzen, einen Hilferuf an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gesandt. Nötig seien bedarfsgerechte Personalvorgaben, heißt es in einem Offenen Brief an Spahn, den über 70 Beschäftigtenvertretungen unterschrieben haben: »Unsere Geduld ist aufgebraucht.« clk
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