Erschreckende Verstaatlicher
Was gehört in staatliche Hand, damit soziale, ökonomische und ökologische Belange funktionieren?
Gerät eine deutsche Großbranche in die Krise – und derer sind in der Pandemie derzeit viele –, kommt von der Linkspartei ziemliche reflexhaft die Forderung: Wir wollen verstaatlichen! Eine kleine Auswahl aus der letzten Zeit? Da wären also Thyssenkrupp, Galeria-Kaufhof-Karstadt, die Lufthansa, das Gesundheitswesen natürlich, die Impfstoff-Unternehmen oder gleich die ganze Pharmaindustrie, und auch die IT- und Telekommunikationsstruktur.
Den Vogel schoss der scheidende Parteivorsitzende Bernd Riexinger bereits vor Pandemiebeginn ab. Riexinger forderte Mitte 2019 die Verstaatlichung aller Fluggesellschaften und die der Energieversorgung sowie der Bahn gleich mit und das explizit im Kampf gegen die Klimakrise und die Erderhitzung. So zitierte ihn jedenfalls die Funke-Mediengruppe.
Die staatstragende Idee drängt sich bei der Lufthansa derzeit besonders auf. Wenn der Steuerzahler schon Milliarden Euro einer AG im Streubesitz in den Rachen wirft, warum soll er dann nicht auch Mit- oder gar Volleigentümer werden. Ein orthodoxer Marxist würde sogar sagen, wir bräuchten da nicht einmal extra Geld geben, denn die Lufthansa ist sowieso nur was wert, weil der gesellschaftliche Gesamtarbeiter, das arbeitende Volk also, ihr tagtäglich neuen Wert einflößt. Eigentlich gehört sie uns schon.
Wer die Liste der obigen Verstaatlichungsvorschläge liest, kann leicht auf die Frage kommen, warum die Linkspartei eher gut bezahlte Industrie- und Infrastrukturarbeitsplätze mit meist stärkerer gewerkschaftlicher Präsenz für verstaatlichbar hält, prekäre und gewerkschaftsschwächere Unternehmen aber weniger oder gar nicht. Hat das möglicherweise etwas mit dem Protestpotenzial und der Vernetzungsmacht der Betroffenen zu tun?
Als vor einiger Zeit eine Bäckereikette in Mecklenburg-Vorpommern in Insolvenz ging und 2.500 Beschäftigte in mehr als 400 Filialen bedroht waren, gab es von links keine Verstaatlichungsforderung. Dasselbe, als die größte deutsche Friseurkette mit mehr als 9.000 Beschäftigten im letzten Dezember in die Insolvenz ging. Bäckereien und Friseure müssen nach linker Erkenntnis offenbar nicht verstaatlicht werden, obwohl diese Dienste, wie frau und mann in der Pandemie sehen, ziemlich systemrelevant sind.
Genug der Polemik. Nehmen wir an, der Traum würde wahr und die Lufthansa wieder ein staatliches Unternehmen, was sie mal gewesen ist. Da ist es zunächst schade, dass die Linkspartei auf die Idee erst kommt, wenn das Großunternehmen praktisch schon pleite ist, in dem Fall also bereits zur Bruchlandung ansetzt. Zwischen 2015 und 2019 flog die Airline jedes Jahr ein Konzernergebnis von nahezu zwei Milliarden Euro ein. Diese schönen Lufthansa-Überschüsse sind jetzt natürlich weitgehend weg und privatisiert.
Die heutigen Verluste könnten dann dank einer Verstaatlichung ganz gut sozialisiert werden. Das gilt im Grunde für viele der in der letzten Zeit von links kolportierten Verstaatlichungsideen. ThyssenKrupp versenkte Abermilliarden in großspurigen Auslandsprojekten, x-mal wurde fusioniert und aufgespalten, Konzernchefs kamen mit Millionenprämien und gingen mit Millionenabfindungen – und jetzt, da der Konzern heruntergewirtschaftet ist, soll der Staat die lausigen Reste übernehmen und den Aktionären, darunter der Krupp-Stiftung, das Vermögen erhalten? Linke als stahlpolitische Resteverwalter? Welchen Sinn soll das haben – außer den Stahlwerkern Beschäftigung zu erhalten? Dafür würde allerdings eine staatliche Transfergesellschaft reichen.
Aber setzen wir den staatlichen Anschlussflug bei der Lufthansa fort: Da es um die Klimakrise geht, führt der klimabewusste Staat sogleich eine wirksame Kerosinsteuer ein und stellt die klimakillenden innerdeutschen Flüge ein. Für eine Verkehrswende reicht das aber nicht: Damit die Airports die frei werdenden Landerechte der Lufthansa nicht an andere Airlines verscherbeln, müsste das den Flughäfen verboten werden. Und damit die Fluggesellschaften dann nicht zu den leerstehenden Regionalflughäfen abwandern, müssten diese am besten gleich geschlossen werden – gegen den erbitterten Widerstand der für diesen Flughafenteil zuständigen Staatsteile: der Länder, Landkreise und Kommunen.
Natürlich würden die fliegenden Verstaatlicher in der Linkspartei darauf antworten: Ja, wir brauchen zugleich ein ökologisches Luftverkehrskonzept für Deutschland und am besten für Europa – aber das können wir eben am besten umsetzen, wenn wir »alles« in der Hand haben.
Gegenfrage: Wenn es so ein plausibles ökologisches Gesamtkonzept gibt, wozu muss dann noch verstaatlicht werden? Denn in ein solches Konzept gehörten natürlich die entsprechenden planerischen, steuerlichen und sonstigen Vorgaben, die aus der heutigen eine zukunftsfähige Flugverkehrswirtschaft machen.
Bei den Zweifeln geht es nicht darum, der primitiven These von Konservativen und Liberalen Vorschub zu leisten, der Staat sei ein »lausiger« Unternehmer. Diese vermutlich meistzitierte Aussage des aktuellen Bundeswirtschaftsministers Peter Altmaier (CDU) lässt sich allerdings auch nicht einfach abtun, indem auf die oft noch schlechtere Performance privateigener Unternehmer hingewiesen wird.
Die Frage ist doch, was muss wirklich hundertprozentig in staatlicher Hand sein, damit soziale, ökonomische und ökologische Belange funktionieren? Auf jeden Fall sollte, so die landläufige Ansicht, die Daseinsvorsorge von den Zwängen des Wettbewerbs und der Maximalrendite ausgenommen sein. Richtig. Aber was gehört dazu? Wohnen, Energie, Wasser, Mobilität, Gesundheit, Ernährung?
Oder sollte man sich beim Verstaatlichen auf natürliche Monopole wie die leitungsgebundene Infrastruktur beschränken? Und dazu noch die Telekommunikationsnetze, deren Vergesellschaftung die Linkspartei sich ebenso vorstellen kann.
Die nächste Frage ist, ob die Sicherung der Daseinsvorsorge de facto gleichbedeutend mit Verstaatlichung oder auch Vergenossenschaftlichung sein muss. Oder wie groß muss der Anteil des Marktes sein, der nicht nach reinen Rendite- und wettbewerblichen Prinzipien funktioniert, damit die Marktwirtschaft sozial wird oder bleibt?Da gehen die Meinungen der Forscher auseinander – entscheidend scheint zu sein, dass überall, wo es um die Befriedigung grundlegender Bedürfnisse geht, immer ein staatliches Pendant vorhanden sein sollte. Ist die Wohnungsmiete des privaten Eigners zu teuer, muss es eine erschwingliche Alternative als Marktkorrektur geben. Auf die Art und Weise der Alternative kommt es an, nicht darauf, dass diese unbedingt staatlich sein muss. Fernflüge gehören aus Sicht der Klimapolitik übrigens nicht zu den staatlich abzusichernden Grundbedürfnissen.
Vieles ist zu hinterfragen und zu überlegen, bevor der Ruf nach Verstaatlichung erschallt. Zu oft ist er nur eine wohlfeile Botschaft mit einem lausigen Schuss Populismus, aus konzeptioneller Not geboren und in den Medien gern mit dem Erschrecken derjenigen zitiert, die hinter dem Schlagwort Verstaatlichung gleich den Sozialismus oder etwas noch viel Schlimmeres heraufziehen sehen. Wer linken Ideen Aufmerksamkeit verschaffen will, sollte in der Öffentlichkeit ruhig das Wort Verstaatlichen ab und zu hervorzaubern. Die Gefahr, es real umsetzen zu müssen, droht in den allermeisten Fällen ja sowieso nicht.
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