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Die Mehrheit ist im Büro
Eine Studie zeigt, das Potenzial für Homeoffice ist längst nicht ausgeschöpft
Bei manch einem oder einer Angestellten verblasst vermutlich langsam die Erinnerung an sein oder ihr Büro. Denn mit der ersten Corona-Welle vor fast einem Jahr wurden viele von ihnen nach Hause geschickt. »Homeoffice« war und ist das Zauberwort der Pandemie-Bekämpfung am Arbeitsplatz. Doch noch immer arbeiten die meisten Menschen nicht von zu Hause aus. Dies geht aus einer Befragung von mehr als 6200 Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung hervor, deren Ergebnisse am Dienstag veröffentlicht wurden. Demnach arbeiten derzeit lediglich 24 Prozent der Beschäftigten vorwiegend oder ausschließlich im Homeoffice.
Dies sind rund drei Prozentpunkte weniger als während des ersten Lockdowns vor knapp einem Jahr. Damals arbeiteten rund 27 Prozent im Homeoffice. Immerhin ist es aber etwas mehr als im November, als nur 14 Prozent der Beschäftigten von zu Hause aus arbeiteten. »Erst der enorme öffentliche Druck auf die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber - unter anderem durch die Gewerkschaften - und schließlich die Verordnung zum Homeoffice haben zu einer Ausweitung des Angebots von mobiler Arbeit geführt«, kommentiert die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung, Bettina Kohlrausch, die Ergebnisse der Befragungen. In der Ausnahmesituation der Pandemie sei deutlich mehr Homeoffice möglich und zur Covid-Prävention auch dringend nötig.
Dies geht auch aus Schätzungen anderer Forschungsinstitute hervor. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kam bereits vor fünf Jahren zu dem Ergebnis, dass Heimarbeit bei 40 Prozent der Arbeitsplätze theoretisch möglich wäre. Das Münchner ifo-Institut schätzt das Potenzial auf rund 56 Prozent. Nachdem Gewerkschaften und linke Opposition Druck für mehr Homeoffice machten, beschloss die Bundesregierung im Juni eine Corona-Arbeitsschutzverordnung, die vorerst bis Mitte März in Kraft ist. Demnach hat der Arbeitgeber seinen Beschäftigten Homeoffice anzubieten, »wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen«.
Zwar bietet diese Einschränkung der Homeoffice-Pflicht noch genügend Interpretationsmöglichkeiten und Schlupflöcher. Doch die Arbeitgeber reagierten trotzdem recht verärgert auf die Verordnung aus dem von Hubertus Heil (SPD) geführten Bundesarbeitsministerium. »Die Homeoffice-Verordnung der Bundesregierung ist ein weiteres Beispiel für bürokratischen Aktionismus, mit dem man nicht viel erreichen wird«, sagte etwa Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger Ende Januar gegenüber der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.
»Alle, die Homeoffice machen können, tun das in sehr, sehr vielen Unternehmen auch schon«, behauptete Dulger zwar. Doch die Experten des WSI der Hans-Böckler-Stiftung sehen dies anders. Es scheine in manchen Betrieben »immer noch Druck auf die Beschäftigten zu geben, im Betrieb zu arbeiten, auch wenn dies zumindest nach Einschätzung der Beschäftigten nicht nötig wäre«, erklärt WSI-Direktorin Kohlrausch. In der Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung wird dies besonders deutlich bei den Antworten jener, die mehr Homeoffice machen wollen und von der Tätigkeit her eigentlich auch könnten. Rund 70 Prozent dieser Gruppe gaben an, dass ihr Arbeitgeber sie von mehr Arbeit zu Hause abhalte.
»Es ist inakzeptabel, dass es mitten in der Pandemie immer noch so viele Arbeitgeber gibt, die ihren Beschäftigten Homeoffice verweigern«, erklärt Jessica Tatti, Sprecherin für Arbeit 4.0 der Linksfraktion im Bundestag, gegenüber »nd«. Die Bundesregierung und die Länder müssten endlich für ausreichende Kontrollen in den Betrieben sorgen, damit der Infektionsschutz überall durchgesetzt werden kann. »Verstöße müssen scharf sanktioniert werden. Die Unternehmen müssen ihren Teil zur Bewältigung der Pandemie beitragen«, so Tatti.
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