Abstimmung mit den Füßen

Der Impfstoff von Astra-Zeneca steht in der Kritik, die WHO verteidigt ihn

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Nebenwirkungen der Corona-Schutzimpfung des Pharmaunternehmens Astra-Zeneca treten vereinzelt häufiger auf, als vom Hersteller zuvor angegeben. Meldungen dieser Art nahmen in den vergangenen Tagen deutlich zu. So wurden in Teilen Schwedens die Impfungen mit dem Wirkstoff vorübergehend gestoppt. Bei einem Viertel der Geimpften sollen Nebenwirkungen aufgetreten sein. Da es sich um Klinikmitarbeiter handelte, wurden Personalengpässe befürchtet.

Astra-Zeneca hatte für seinen Impfstoff mitgeteilt, dass als Nebenwirkung häufig Fieber vorkommt, das aber mild verlaufe und schnell vorübergehe. Hinzu kämen immer wieder Schmerzen und Empfindlichkeit an der Injektionsstelle, leichte bis mäßige Kopfschmerzen, Müdigkeit, Schüttelfrost, Unwohlsein und Muskelschmerzen. In den Verträglichkeitsstudien vor der Zulassung waren diese Symptome aber nur bei zehn Prozent der Probanden aufgetreten.

Verschiedenen Medienberichten zufolge gab es auch im Kreis Minden-Lübbecke in Nordrhein-Westfalen krankheitsbedingte Ausfälle nach der Impfung bei mindestens 21 Beschäftigten des Rettungsdienstes. In Folge solcher Berichte hatten Impfberechtigte in dem Bundesland bereits ihre Termine zur Immunisierung platzen lassen, darunter Rettungsdienstmitarbeiter und Pflegekräfte in Münster. Einen landesweiten Überblick dazu gab es noch nicht. Gestoppt wurde die Impfung vorübergehend auch in jeweils einem Krankenhaus in Braunschweig und in Emden. Auch im Saarland waren Klinikmitarbeiter nicht zu ihrem Impftermin am Wochenende erschienen.

In Niedersachsen wurde bisher nur ein Bruchteil der gelieferten Corona-Impfdosen des Herstellers Astra-Zeneca eingesetzt. Bisher erhielt das Land 72 000 Dosen, davon wurden bis einschließlich Dienstag erst 8806 verwendet, so das Gesundheitsministerium in Hannover. Ähnlich sieht es in Berlin aus. Hier wird von mehr als 30 000 gelieferten Dosen berichtet, von denen erst 1000 verbraucht wurden. Nur Nordrhein-Westfalen (34 124) und Bayern (12 092) setzten bisher mehr Impfdosen von Astra-Zeneca ein.

Geimpft werden damit jene Impfberechtigten, die der höchsten Prioritätsgruppe angehören und jünger sind als 65 Jahre - dazu zählt laut Gesundheitsministerium das Personal in der ambulanten Pflege und in den besonders gefährdeten Bereichen der Krankenhäuser. Das ist auch in Berlin so, wo der Senat verordnete, dass das Personal von Krankenhäusern ausdrücklich nur mit dem Astra-Zeneca-Impfstoff versorgt werden soll. Mitarbeiter empfinden das als ungerecht und wenig sinnvoll. Wegen der leicht niedrigeren Wirksamkeit im Vergleich mit den Vakzinen von Moderna oder Biontech/Pfizer könnten die Pflegekräfte bei einer Ansteckung trotz Impfung ausfallen. Eine erneute Immunisierung ist erst nach sechs Monaten wieder möglich. Kürzlich wurde zudem bekannt, dass das Astra-Zeneca-Präparat bei einer zunächst in Südafrika entdeckten Variante weniger vor Covid-19 schützt. Das Land wolle deshalb eine Million Impfstoffdosen zurückgeben, hieß es. Auch das könnte Auswirkungen auf Pflegekräfte und Ärzte haben, die durch ihre Arbeit mit größerer Wahrscheinlichkeit auf mutierte Sars-CoV-2-Viren treffen.

Ein Mitarbeiter einer Berliner Klinik, der als spezialisierte Pflegekraft regelmäßig mit betagten Transplantationspatienten zu tun hat, nahm die Entscheidung des Senats mit Schrecken auf. Er hätte sich wenigstens ein Zufallsprinzip bei der Verteilung gewünscht, damit eine gewisse Gerechtigkeit gewahrt bliebe. Dem Pfleger, der anonym bleiben will, fehlt ein weiteres Mal die ernst gemeinte Anerkennung für den Einsatz seiner Kolleginnen und Kollegen in den Pandemiemonaten.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) stellte inzwischen klar, dass es für Unter-80-Jährige in der Hauptstadt doch keine Wahlfreiheit beim Impfstoff gibt. In Berlin könnten sich nur Menschen über 80 Jahre ein Impfzentrum aussuchen und damit zumindest indirekt über den Impfstoff mitentscheiden, weil jedes Zentrum nur von einem Hersteller beliefert wird. Im Impfzentrum Berlin-Tegel bleibt das Interesse bisher hinter den Erwartungen zurück, auch hier geht es um den Astra-Zeneca-Impfstoff.

Das für die Sicherheit von Impfstoffen zuständige Paul-Ehrlich-Institut wurde informiert, konnte aber zu den konkreten Fällen noch keine Einschätzung geben. Bei den in Norddeutschland eingesetzten Vakzinen könnte es sich auch um ein Problem einzelner Chargen handeln. Unterdessen wird von verschiedenen Seiten der Einsatz des Impfstoffs weiter empfohlen, darunter von der Weltgesundheitsorganisation WHO.

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