Der Frust nach innen
14 Jahre nach seinem Erscheinen bleibt »Ex Drummer« ein schwieriger, interessanter, stimmiger Film, der es niemandem leicht macht - nun neu auf Blu-Ray
Ex Drummer» ist das Negativ eines John-Waters-Films. Alle Protagonisten sind irgendwie queer, arm, behindert, dazu wird ständig gerülpst, gekotzt, geschissen. Im Gegensatz zu den heiteren Ekelorgien aus Baltimore ist «Ex Drummer» aber nur stellenweise lustig, insgesamt ein bleischwerer Film zwischen Trash, Exploitation und tief dunklem Sozialdrama. In der Edition «Camera Obscura» erscheint dieser sogenannte Kultfilm des belgischen Regisseurs Koen Mortier aus dem Jahr 2007, basierend auf dem Buch von Herman Brusselmans, nun neu auf Blu-Ray mit akademischer Heftbeilage.
Die Story des Films geht so: Eines Tages schlagen drei krumme Gestalten bei dem Erfolgsschriftsteller Dries van Hegen auf - sie stinken, sind ordinär, sie kommen aus den Elendsquartieren der Hafenstadt Ostende. Sänger Koen lispelt und sabbert, sein Hobby ist es, Frauen zu vergewaltigen, ab und zu vielleicht sogar totzuschlagen. Gitarrist Ivan ist taub und ein völlig unverantwortlicher Familienvater, sein Kind lässt er verwahrlosen, die drogensüchtige Frau brüllt er regelmäßig an. Bassist Jan lebt noch zu Hause, zusammen mit seiner glatzköpfigen Mutter und seinem inkontinenten, in einer Zwangsjacke ans Bett fixierten Vater. Ein frühes Sexualtrauma verursachte die Nebenwirkungen eines steifen Armes und chronischer Homosexualität. Ihnen fehlt der Schlagzeuger und der Erfolg - beides soll nun Dries mit seinem Talent und seiner Prominenz richten. Einzige Bedingung: Irgendeine Behinderung muss er haben.
Doch die muss der sich höchstens einfallen lassen, weil Dries eben nicht zu diesen Randständigen der Gesellschaft gehört, sondern auf sie herabblickt. Er wohnt in einem schicken Loft mit Blick aufs Meer, hat eine glückliche offene Beziehung inklusive Sex mit jungen Studentinnen, ein schnelles Motorrad, eine teure Lederjacke, viel Geld und das größtmögliche Ego. Mit der postmodernen, saturierten Langeweile und Sensationsgeilheit eines «Vice»-Reporters schließt er sich der Band an: «Eintauchen in das Leben dieser Loser, ohne dadurch zu ihnen gehören zu müssen».
Von Anfang an ist der Film ein Albtraum. Kein Detail, kein Schauplatz, kein Charakterzug verspricht hier Trost, es gibt nur gestörte Männer und deren Absonderungen. Das Filmmaterial ist genauso braungrau und wackelig, wie es die omnipräsente Hoffnungslosigkeit am Ende von Ostende suggeriert. Alles Liebevolle haben die Bandmitglieder verdrängt, ihr Frust ist nach innen gerichtet, sie sind längst zum Unrat geworden, in dem sie leben. Auch untereinander schlagen und beleidigen sie sich, nur ihre Existenz als «Krüppel» macht sie stolz, sie sind folglich Punks. Als erste Nummer schlägt Sänger Koen deswegen eine Coverversion des Songs «Mongoloid» von Devo vor. Darin kauft ein Mensch mit Down-Syndrom den Speck ein und geht arbeiten und trägt einen Hut, und niemand bemerkt, dass er anders ist.
Früh im Film merkt man als Zuschauer, dass hier ein literarisches Konstrukt inszeniert wird, keine Abbildung der Realität. Später im Film erklärt das eine Szene recht deutlich, als Autor Dries einen Dialog auf seinem Laptop tippt, der sich kurze Zeit später als Skript zum filmischen Dialog entpuppt. Es ist seine Vorstellung von Armut, eben die Präsentation von Mittellosigkeit über die der Mittelstand lachen kann. Familie Flodder, Al Bundy oder die Inszenierung der Ritters aus Köthen für «Stern TV» zählen zu den Entsprechungen der westlichen Fernsehlandschaft. «Ex Drummer» fragt permanent, ob man darüber lachen darf, gibt aber keine Antwort. Die bürgerliche Gesellschaft hat Dries zu keinem besseren Menschen gemacht als die anderen Asozialen. Er wischt sich den Hintern mit dreilagigem Klopapier ab, die anderen spülen nicht einmal mehr herunter.
Um Sex geht es auch, er ist so unvermeidbar wie Stuhlgang. Dries schwadroniert selbstgefällig eine Parabel vom König von Siam, dessen riesiger Penis ihn, trotz aller Liebesfähigkeit, immer zum Objekt degradierte. Auf «Großer Schwanz», den Sänger einer anderen Band, sind sie trotzdem alle neidisch. Mit seinem Gemächt kann er zerstören und die Desperaten, ob Mann oder Frau, sehnen sich nach nichts mehr als Erlösung. Der glatzköpfige Koen hasst die «Weiber» so sehr, dass er seine Band «The Feminists» nennt. Nur die Unattraktivste, Gefühlskälteste, Ordinärste seines Horizonts kann er lieben - die glatzköpfige Mutter seines Bassisten.
Um diesen Film noch detailreicher zu erklären, bedarf es eines Aufsatzes wie den von Professor Marcus Stiglegger im Booklet der erschienen Blu-Ray. Stiglegger konzentriert sich auf die Punk-Perspektive, die Produktionsbedingungen und Hintergründe der Filmschaffenden. Auch ein Making-of sowie ein Interview mit dem Regisseur bieten erweiterte Zugangsmöglichkeiten fürs Heimkino.
14 Jahre nach seinem Erscheinen bleibt «Ex Drummer» ein schwieriger, interessanter, stimmiger Film, der es niemandem leicht macht. Selbst die schiere Ansammlung an - für die Kraft seines Versuchs notwendigen - Tabubrüchen, ohne entsprechende Reizwörter zu verschriftlichen, ist eine Herausforderung.
«Ex Drummer» : Belgien/Frankreich/Italien 2007. Regie: Koen Mortier. Mit Dries Vanhegen, Norman Baert, Gunter Lamoot. 105 Min. (Camera Obscura)
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