Draghi sieht Chancen
Italiens neuer Premier beschwört nationale Einheit in der Krise
Das Abgeordnetenhaus in Rom sah am Donnerstag eine deutlich schärfere Debatte zu Italiens neuer Regierung als tags zuvor der Senat. Der Sitzungstag in der kleineren Kammer des Parlaments war am Mittwoch lang geworden: Nach Draghis Antrittsdiskurs mit den Schwerpunkten Gesundheit, Arbeit und Umwelt hatten sich gleich 68 Senatoren zu Wort gemeldet - vor allem zustimmend. Lediglich Georgia Meloni, Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI), scherte aus: »Nachdem wir die Ausführungen des Premiers gehört haben, betonen wir unser Nein zum Vertrauen in diese Regierung«. Zu später Stunde sprachen 262 Senatoren der Regierung ihr Vertrauen aus, 40 stimmten gegen sie, darunter 15 Vertreter der Fünf-Sterne-Bewegung. Die flogen dafür am Donnerstag aus der Fraktion. »Sterne«-Begründer Beppe Grillo stellte sich demonstrativ hinter den neuen Regierungschef: Zu nationaler Einheit und ökologischem Umbau gebe es keine Alternative.
Die Pandemie, sagte Draghi in seiner zweiten Antrittsrede, habe Italien vor enorme wirtschaftliche und soziale Probleme gestellt: »Das Virus ist unser aller Feind.« Die »neue Armut« sei von 37 auf 45 Prozent gestiegen. Betroffen seien vor allem Frauen und Jugendliche, der Süden des Landes stärker als der Norden. Der Ex-Zentralbankchef prognostizierte, dass Italien erst zum Ende 2022 wieder auf demselben Entwicklungsstand wie vor der Pandemie sein werde.
Höchste Priorität sollen jetzt die Impfkampagne und die Erweiterung von Testkapazitäten erhalten. Der Staat werde dafür alles in seiner Macht stehende unternehmen, erklärte der neue Regierungschef. Ein wichtige Aufgabe sei es auch, so Draghi, wieder zu »normaleren« Zuständen im Bildungsbereich zu gelangen. Eine Rückkehr zum regulären Schulbetrieb wäre zwar verfrüht, doch schrittweise würden die Bildungseinrichtungen wieder geöffnet. Denkbar sei auch eine Anpassung des Schuljahres an die Bedingungen der Pandemie. Draghi erwägt, dieses bis Ende Juni zu verlängern, um ausgefallene Zeiten kompensieren zu können.
Epidemiologen warnen: Die Infektionsraten unter Kindern stiegen, Virusmutationen und geöffnete Schulen könnten zu neuen Infektionsherden führen. Daher appellierte Draghi, neue Lehr- und Lernmethoden in den Schulen einzuführen, die Digitalisierung voranzutreiben. Die moderne Gesellschaft benötige zudem eine breit gefächerte Ausbildung an Technischen Fach- und Hochschulen.
Die neue Regierung verspricht, die Arbeitenden zu schützen und will dafür neue Programme auflegen. Draghi räumte aber ein, dass nicht alle Betriebe erhalten bleiben können, sich einige drastisch neu orientieren müssen. Besondere Beachtung soll der Entwicklung in Süditalien geschenkt werden. Den Wiederaufbau nach der Pandemie verglich Draghi mit den Anstrengungen, die nach dem zweiten Weltkrieg unternommen werden mussten. Diese Aufgaben, betonte der Premier wiederholt, seien nur in der Zusammenarbeit aller Italiener zu lösen. »Die Einheit ist keine Wahlmöglichkeit, sondern ein dringendes Muss.« Zur EU und zum Euro gebe es für Italien keine Alternative.
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