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  • Ein Jahr nach den Morden von Hanau

Fristen, Nazisprüche, Polizeigewalt

nd-Fragen an Bundesregierung und Landesregierungen

  • Lesedauer: 4 Min.

Es war eines der schwersten rechtsextremistischen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: Vor genau einem Jahr, am Abend 19. Februar 2020, ermordete ein Rassist im hessischen Hanau neun Menschen aus migrantischen Familien. Politiker nahezu aller Parteien zeigten sich erschüttert, äußerten sich solidarisch mit den Angehörigen der Opfer und forderten einen konsequenten Kampf gegen Hass und rechte Gewalt. »nd« fragte in den letzten Wochen die Bundesregierung und alle Landesregierungen, welche Schlussfolgerungen sie aus dem Anschlag von Hanau gezogen haben. Die Fragen gehen auf einen Forderungskatalog zurück, den die Publizistin Daniela Dahn nach dem Anschlag von Hanau formuliert und den »nd« veröffentlicht hatte.

14 der 17 angefragten Regierungen haben geantwortet und sich zu Themen wie dem Einsatz von V-Leuten in der Naziszene, rechtsextremen Netzwerken in der Polizei, dem Sinn von Antifaschismus-Klauseln in Grundgesetz und Landesverfassungen und der Kontrolle von Waffenbesitzern geäußert.

Dahn forderte, »nd« fragt

Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Täter war Sportschütze und besaß legal zwei Pistolen. Eine dritte Pistole, die Tatwaffe, lieh er sich bei einem Waffenhändler aus.

Nach dem Massaker gab es zahlreiche Bekenntnisse von Politikern, entschieden gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bezug auf rassistische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung: »Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.« Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei einem Treffen mit Angehörigen der Opfer: »Die Wurzeln des Rechtsextremismus reichen tief in unsere Gesellschaft hinein – das ist ein ernstes, ein drängendes Problem.«

Die Publizistin Daniela Dahn formulierte kurz nach dem Anschlag in Hanau Forderungen an die Politik, die »nd« veröffentlichte. Es geht darin um Defizite im Umgang mit Rechtsextremismus und rechter Gewalt, um die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, die konsequente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. »Wenn die angesprochenen Institutionen nicht beabsichtigen, auf die Forderungen einzugehen, haben sie die Pflicht, dies vor der Öffentlichkeit zu begründen«, schrieb Daniela Dahn.

Wir haben ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau die Bundesregierung und die Landesregierungen gefragt, wie sie zu den von Daniela Dahn aufgeworfenen Fragen stehen. Keine Antworten kamen aus Brandenburg, Hessen und Baden-Württemberg. Auf dieser Doppelseite fassen wir wesentliche Aussagen zusammen, an denen sich die Institutionen – Staatskanzleien, Ministerien, Polizei und Verfassungsschutzämter – messen lassen müssen. In den nächsten Wochen werden wir mit Politikern, Verbänden und Initiativen sprechen und die hier wiedergegebenen Auskünfte einer Bestandsaufnahme unterziehen. nd

Gibt es die Absicht, die teils sehr langen Sperrfristen für Akten zu rechtsextremistischen Attentaten (beim NSU-Verfahren bis zu 120 Jahre) aufzuheben, um so bessere Aufklärung zu ermöglichen?

Hier verweisen die Behörden aus Bund und Ländern auf gesetzliche Sperrfristen und die Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten. Dies behindere jedoch nicht den dienstlichen Informationsaustausch berechtigter Stellen, so Thüringen. In der Regel gehe es, so die Auskünfte, um Sperrfristen von 30 Jahren, die teils verlängert werden können. Eine Sperrfrist von 120 Jahren gebe es nur für eine Akte des hessischen Verfassungsschutzes, heißt es aus Bayern. Hamburg teilt mit, dass als Lehre aus dem NSU-Komplex eine Gesetzesnorm eingeführt wurde, die das Vernichten von Daten und Dokumenten »anlassbezogen verhindert«.

Wie wird in Ihrem Verantwortungsbereich Polizeigewalt gegen friedliche antifaschistische Demonstranten bearbeitet und geahndet?

Beschwerden und Anzeigen zu Polizeigewalt würden ernst genommen, heißt es nahezu unisono - auch mit disziplinarrechtlichen Maßnahmen unterhalb des Strafrechts. Thüringen erklärt, die Fragestellung basiere »auf einer subjektiven, beleglosen Behauptung, welcher grundsätzlich widersprochen wird«. Sachsen-Anhalt zählt Maßnahmen wie wechselnd besetzte Dienstschichten und Rotation von Führungskräften auf, mit denen man einem »negativ verstandenen Korpsgeist entgegenwirken« will. Rheinland Pfalz verweist auf die Neutralitätspflicht der Polizei und merkt an, dass es angesichts sehr unterschiedlicher Versammlungsteilnehmer (gemeint sind offenbar Demonstrationen und Gegendemonstrationen) »mitunter eine komplexe Herausforderung« sei, deren Rechte »möglichst grundrechtsschonend in Einklang zu bringen«.

Müssen Parolen, die verbrecherische Organisationen verherrlichen - wie »Ruhm und Ehre der Waffen-SS« - erlaubt sein, oder wäre es an der Zeit, sie zu verbieten?

Bund und Länder verweisen hier zumeist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2005, wonach die genannte rechtsextreme Losung kein Verwenden von Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen bedeute. Dies bedeute jedoch nicht automatisch Straflosigkeit, heißt es aus Thüringen und Niedersachsen - abhängig vom konkreten Kontext der Äußerung könne durchaus die Verletzung von Strafrechtsnormen festgestellt werden. Bayern teilt in diesem Zusammenhang mit, dass es sich »für weitreichende Anzeige- und Löschpflichten der sozialen Netzwerke und eine Reform des Beleidigungsstrafrechts« einsetzt. Rheinland-Pfalz erwähnt einen Gesetzesantrag, der die Strafverfolgung von Propagandadelikten auch dann zum Ziel hat, wenn sie im Ausland begangen wurden.

Was wird getan, um Ehrendoktorschaften von NS-belasteten Personen abzuerkennen bzw. Namensgeberschaften solcher Personen für öffentliche Einrichtungen zu beenden?

In vielen Antworten wird auf die akademische Selbstverwaltung und die Hochschulautonomie verwiesen. Bayern zitiert das Bundesverfassungsgericht, demzufolge Unwürdigkeit »ausschließlich wissenschaftsbezogen auszulegen ist« und der Entzug eines akademischen Titels »etwa bei Verfehlungen außerhalb des Wissenschaftsbetriebs nicht in Betracht kommt«.

Was wird getan, um die Gewährung von Zusatzrenten für ehemalige SS-Leute zu beenden?

Mecklenburg-Vorpommern und Berlin verweisen darauf, dass dieses Thema »im Bundestag diskutiert« werde. Gemeint sind offenbar Anträge der Linksfraktion von 2019, die sich gegen Leistungen der Kriegsopferversorgung und Renten für ehemals freiwillige Waffen-SS-Angehörige wenden. Schleswig-Holstein verweist auf eine Zuständigkeit der Rentenversicherungsträger, Thüringen darauf, dass durch höchstrichterliche Rechtsprechung jeweils die individuelle Schuld des Berechtigten festgestellt werden müsse. Mehrere Länder wie Bayern, Hamburg und Berlin erwähnen, dass sie zu diesem Thema mit dem Simon-Wiesenthal-Center zusammenarbeiten. Niedersachsen berichtet von vier Fällen des Versorgungsentzugs, seit 1998 das Bundesversorgungsgesetz in Kraft trat, Thüringen von einem Fall. wh

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