- Politik
- Waffenrecht und Hanau
»Hat sich im internationalen Vergleich gut bewährt«
Landesregierungen sehen nach mehreren Novellen beim Waffenrecht keine Verbesserungsnotwendigkeit
nd-Frage an Bundesregierung und Landesregierungen: Haben sich Gesetze
bewährt, die Privatpersonen weitgehend ungeprüft den Besitz und die Aufbewahrung von Waffen erlauben?
Der rassistische Attentäter von Hanau besaß legal zwei Waffen. Seit 2012 war er Mitglied im Frankfurter Schützenverein Diana Bergen-Enkheim, obwohl er mehrfach mit seinem extrem rechten und verschwörungstheoretischen Gedankengut bei Behörden vorstellig geworden war. Im November 2019 hatte er gar eine wirre Strafanzeige bei der Generalbundesanwalt gestellt - Konsequenzen gab es keine. Vor rund einem Jahr wurde dann im Rahmen einer Novelle die Regelabfrage beim Verfassungsschutz vor Erteilung eines Waffenscheins eingeführt. Derzeit gibt es noch Debatten, ob Waffenbehörden Informationen über psychische Erkrankungen von Menschen erlangen dürfen. Unabhängig vom Ausgang: Wie bewerten die Landesregierungen und die Bundesregierung die aktuelle Gesetzesgebung?
Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Täter war Sportschütze und besaß legal zwei Pistolen. Eine dritte Pistole, die Tatwaffe, lieh er sich bei einem Waffenhändler aus.
Nach dem Massaker gab es zahlreiche Bekenntnisse von Politikern, entschieden gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bezug auf rassistische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung: »Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.« Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei einem Treffen mit Angehörigen der Opfer: »Die Wurzeln des Rechtsextremismus reichen tief in unsere Gesellschaft hinein – das ist ein ernstes, ein drängendes Problem.«
Die Publizistin Daniela Dahn formulierte kurz nach dem Anschlag in Hanau Forderungen an die Politik, die »nd« veröffentlichte. Es geht darin um Defizite im Umgang mit Rechtsextremismus und rechter Gewalt, um die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, die konsequente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. »Wenn die angesprochenen Institutionen nicht beabsichtigen, auf die Forderungen einzugehen, haben sie die Pflicht, dies vor der Öffentlichkeit zu begründen«, schrieb Daniela Dahn.
Wir haben ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau die Bundesregierung und die Landesregierungen gefragt, wie sie zu den von Daniela Dahn aufgeworfenen Fragen stehen. Keine Antworten kamen aus Brandenburg, Hessen und Baden-Württemberg. Auf dieser Doppelseite fassen wir wesentliche Aussagen zusammen, an denen sich die Institutionen – Staatskanzleien, Ministerien, Polizei und Verfassungsschutzämter – messen lassen müssen. In den nächsten Wochen werden wir mit Politikern, Verbänden und Initiativen sprechen und die hier wiedergegebenen Auskünfte einer Bestandsaufnahme unterziehen. nd
Der Bremer Senat zeigte sich hierbei zuversichtlich gegenüber »nd«: »Die Waffenkontrolle ist in Bremen in ihrer Gründlichkeit eine große Besonderheit in Deutschland«, hieß es von der Landesregierung. Jährlich finde eine verdachtsunabhängige Überprüfung der sicheren Aufbewahrung statt. Dabei werde kontrolliert, ob die Auflagen erfüllt werden, zudem gebe es »selbstverständlich« verdachtsbezogene und anlassbezogene Überprüfungen. Auch Rheinland-Pfalz ist von seiner Waffenpolitik überzeugt: »Das seit 2002 wiederholt und zuletzt im Jahre 2020 geänderte Waffengesetz hat sich auch im internationalen Vergleich grundsätzlich gut bewährt«, teilte die Regierung mit. In Sachsen sieht man ebenfalls keinen Veränderungsbedarf: »Die Praxis der durch die Waffenbehörden durchgeführten Kontrollen zeigt, dass die weit überwiegende Mehrheit der legalen Waffenbesitzer, wie etwa Sportschützen und Jäger, die Aufbewahrungsvorschriften sorgfältig einhalten«, so die Landesregierung.
Einzig das Saarland verwies auf Hanau und die Vorgeschichte des Attentäters: »Der Fall hat gezeigt, dass sich Personen im Verlaufe ihrer Radikalisierung mit Eingaben an Behörden wenden. Bei Auffälligkeiten werden seit letztem Jahr in der Abteilung Verfassungsschutz die Absender von Eingaben auf legalen Waffenbesitz überprüft«, hieß es in der Antwort. Dabei sei bereits eine Person aufgefallen, die im Besitz einer Pistole war, rassistischem Gedankengut anhing und eine rechtsmotivierte Straftat begangen hatte. Den Vorgang habe man »unverzüglich« der Waffenbehörde angezeigt und angeregt, die Entziehung der Waffenerlaubnis zu prüfen.
Alle Bundesländer sowie der Bund lehnten aus Sicherheitsgründen eine zentrale Aufbewahrung von Schusswaffen ab oder äußerten zumindest ernsthafte Bedenken. Bundesweit hatten die Behörden bis Ende Dezember rund 1200 tatsächliche oder mutmaßliche extreme Rechte registriert, die legal Waffen besaßen - ein Anstieg um knapp 35 Prozent im Vergleich zu Ende 2019.
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