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Frankreich schränkt das Fliegen ein
Regierung verbietet so manchen Kurzstreckenflug und legt Ausbau von Pariser Großflughafen auf Eis
Die Konstellation war tödlich: Da durch die weltweite Coronakrise der Flugverkehr aus Mangel an Reisenden eingebrochen ist und seine früheren Wachstumsraten angesichts veränderter Gewohnheiten nie wieder erreichen dürfte, hatte das Projekt für den Ausbau des Flughafens Charles de Gaulle in Paris-Roissy keine Chance. Nun hat Frankreichs Umweltministerin Barbara Pompili die Entscheidung bekannt gegeben, dass das geplante Terminal 4 für Paris CDG, den nach London Heathrow zweitgrößten Flughafen Europas, nicht gebaut wird. Statt dessen wird die halbstaatliche Flughafengesellschaft ADP aufgefordert, ein neues Konzept vorzulegen, das den CO2-Sparplänen Frankreichs gerecht wird. Dazu gehören Maßnahmen für Energiewandel und Energiesparen, eine Stärkung des Nah- wie auch an das Fernstreckennetzes der Bahn sowie der Ausbau von Infrastrukturen für künftige elektrisch- und wasserstoffbetriebene Flugzeuge.
Hinzu kommt, dass am Tag zuvor im Ministerrat der Entwurf eines Klimagesetzes verabschiedet wurde, das unter anderem Inlandflüge auf Strecken verbietet, die mit der Bahn in maximal zweieinhalb Stunden zu erreichen sind. Das war im Prinzip einer der 149 Vorschläge für Maßnahmen zum Klimaschutz, die ein Forum aus 150 per Los ausgewählten Bürgern nach neunmonatigen Beratungen im Frühjahr 2020 Präsident Emmanuel Macron übergeben hatten.
Macron versprach seinerzeit, alle Vorschläge bis auf zwei umzusetzen. Doch was bisher in die Form von neuen Gesetzen, Dekreten und Vorschriften gegossen wurde, hat die meisten Mitglieder des Bürgerforums eher enttäuscht. Sie vermissen bei der Regierung den politischen Willen, tiefgreifende und entsprechend nachhaltige Maßnahmen zu ergreifen. Das gilt auch für die Kurzstreckenflüge. Das Bürgerforum hatte dafür plädiert, alle Linien von Paris zu Provinzstädten oder Querverbindungen einzustellen, die man mit der Bahn in maximal vier Stunden erreichen kann. Dagegen liefen die Fluggesellschaften aus Gründen der Rentabilität und auch die Gewerkschaften ihrer Mitarbeiter aus Furcht um die Arbeitsplätze Sturm.
Gleichzeitig verlangte Verkehrsminister Jean-Baptiste Djebbari bereits im Juni vergangenen Jahres als Gegenleistung für Milliardenhilfe des Staates von der coronageschwächten Fluggesellschaft Air France, Inlandflüge einzustellen, zu denen es eine Alternative unter zweieinhalb Stunden mit der Bahn gibt. Da war also das Limit von zweieinhalb Stunden bereits in der öffentlichen Debatte, und seitdem ist immer nur von ihnen die Rede gewesen, wie um noch strengere Alternativen vergessen zu machen.
Die ursprünglich geforderte Frist von vier Stunden hätte vom gegenwärtigen Streckennetz mehr als 20 Linien betroffen. Die laxere Regel bedeutet dagegen nur für fünf Strecken das Aus: Paris-Lille, Paris-Straßburg, Paris-Lyon, Paris-Nantes und Paris-Bordeaux. Dagegen sind Paris-Toulouse, Paris-Nizza und selbst Paris-Marseille nicht betroffen, ganz zu schweigen von Linien quer durch das Land wie beispielsweise Lyon-Biarritz.
In den letzten Jahren vor der Coronakrise haben rund 27 Millionen Passagiere in Frankreich Inlandfluglinien genutzt. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr viel. Dabei verfügt Frankreich über ein dichtes Netz von TGV-Hochgeschwindigkeitszügen, mit denen man rund 360 Städte des Landes erreichen kann. Doch die unterschiedliche Reisedauer ist nicht das einzige Kriterium. Verbraucherverbände rechnen vor, dass ein Flugticket durchaus weit günstiger als ein Bahnticket sein kann. Verbraucher- und Umweltverbände fordern deshalb von der französischen Regierung, den Flugverkehr im Vergleich zur Bahn teuer zu machen. Schließlich fällt beim Flugzeug pro Passagier doppelt so viel CO2 an wie beim Auto und 60 Mal soviel wie bei der Bahn.
In diesem Zusammenhang war der geplante Ausbau des Flughafens Paris-CDG für die Umweltverbände und die Partei der Grünen schon lange ein rotes Tuch. Beabsichtigt war, mit einem Investitionsaufwand von sieben bis neun Milliarden Euro ein viertes Terminal zu bauen, durch das die Abfertigungskapazität von heute 79 Millionen Passagieren jährlich schrittweise bis 2037 um insgesamt 40 Millionen erhöht werden sollte. Die 100-Millionen-Marke hoffte man gegen 2030 zu erreichen. Der Bau neuer Start- und Landebahnen war angesichts zu erwartender Proteste von Anwohnern nicht wünschenswert, aber auch gar nicht nötig. Bereits mit der ersten Ausbaustufe des 1977 in Betrieb genommenen Airports Paris CDG hatte man gleich vier Pisten gebaut, deren Kapazität bis heute längst noch nicht ausgelastet ist. Sie hätten also über die heute im Schnitt 1300 Starts oder Landungen pro Tag hinaus die 450 für das neue Terminal verkraftet.
Die Anwohner atmen jetzt auf, denn mit täglich 450 Flügen mehr hätte neben der Luftbelastung auch der Lärm erheblich zugenommen. Die Umweltverbände und die Grünen sind stolz auf diesen Erfolg, sehen ihn aber nur als Etappensieg an. Sie verweisen darauf, dass es auch für ein Dutzend Provinzflughäfen Erweiterungspläne gibt. Doch auch die hat die Regierung nicht vergessen. Während in Marseille, Nizza und Nantes die Pläne bereits bestätigt sind und die Bauarbeiten laufen, sollen ab 2022 künftige Projekte nur als »von öffentlichem Interesse« anerkannt und genehmigt werden, wenn dank entsprechender Gegenmaßnahmen die CO2-Emission des Flughafens durch die Erweiterung insgesamt nicht steigt.
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