Showdown bei der Bahn

Der Konzern pocht auf Tarifeinheit zuungunsten der Lokführer

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei der Deutschen Bahn eskaliert derzeit ein Konflikt, der erhebliche Bedeutung für die gesamte Gewerkschaftsbewegung hat. Erstmals sollen auf Grundlage des seit 2015 geltenden Tarifeinheitsgesetzes (TEG) die von einer etablierten Spartengewerkschaft ausgehandelten Tarifverträge für unwirksam erklärt werden. Künftig sollen dann nur noch Verträge gelten, die von der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in den betroffenen Betrieben abgeschlossen wurden. Und das soll auch für Tarifverträge für Berufsgruppen gelten, in denen die Minderheitsgewerkschaft die Mehrheit der Beschäftigten vertritt.

Es kann nicht verwundern, dass sich diese Auseinandersetzung im Bahnkonzern zuspitzt. Dort sind sich die zum DGB gehörende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) seit vielen Jahren in herzlicher Abneigung verbunden. 2008 erkämpfte die GDL mit wochenlangen Streiks erstmals einen eigenen Lokführertarifvertrag. Später folgten auch Tarifverträge für die anderen Berufsgruppen des Fahrpersonals wie Zugbegleiter und Bordgastronomen, die jeweils konzernweit galten, aber relativ wenige Abweichungen von den Tarifverträgen der EVG beinhalteten.

Das soll sich jetzt ändern. Denn die GDL hat im vergangenen Jahr Verhandlungen über einen Sanierungstarifvertrag bei dem von der Coronakrise gebeutelten Betrieb verweigert, da dieser weder strukturelle Änderungen in dem maroden Konzern noch nachhaltige Beiträge der hochbezahlten Führungskräfte beinhalten sollte. Auch die Übernahme dieses dann vom DB-Management und der EVG im September 2020 abgeschlossenen Vertrages lehnte die GDL kategorisch ab, da die vereinbarte Lohnsteigerung von 1,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwei Jahren inakzeptabel sei. Die GDL strebt reguläre Tarifverhandlungen mit dem Ziel eines deutlich besseren Ergebnisses an.

Doch genau das wollen das DB-Management und die EVG verhindern. Ende 2020 lief ein 2015 vereinbarter Grundlagenvertrag zwischen den drei Akteuren aus, mit dem die Anwendung des TEG in dem Konzern ausgeschlossen wurde. In allen 71 der insgesamt 300 DB-Betriebe, in denen es konkurrierende Tarifverträge gibt, soll jetzt unter notarieller Kontrolle erfasst werden, welche Gewerkschaft dort jeweils die meisten Mitglieder hat. Dort soll dann künftig nur noch der Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft gelten. In den meisten Fällen würde vermutlich die EVG die Mehrheit stellen, obwohl sie bei einigen Berufsgruppen, vor allem Lokführern, kaum Mitglieder hat. Das könnte zu der absurden Konstellation führen, dass künftig Lokführer und andere Fahrpersonale je nach Konzernteil unterschiedlichen Tarifverträgen unterliegen, etwa die Entlohnung und die Arbeitszeitregelungen betreffend.

Die Bahn hat die Mitarbeiter der betroffenen Betriebe jetzt darüber informiert, die EVG unterstützt das ausdrücklich. Ende März sollen die Mitarbeiter dann erfahren, welcher Tarifvertrag künftig für sie gilt. Doch die GDL lehnt das Verfahren kategorisch ab. Sie pocht zum einen auf die Gültigkeit der derzeit bestehenden Tarifverträge und deren Nachwirkung bis zum Abschluss eines neuen. Und das kann dauern, denn bislang gibt es noch keine Forderungen und keine Verhandlungstermine. Daher hat sie dem konzerninternen Arbeitgeberverband MOVE eine Unterlassungserklärung übersandt, um dieses Vorgehen zu unterbinden. Ein GDL-Sprecher äußerte sich gegenüber »nd« gelassen: »Derzeit gewinnen wir beständig neue Mitglieder, sowohl in unseren Kernklientelen als auch in weiteren Berufsgruppen, die wir bislang noch nicht vertreten haben.« Man werde zu gegebener Zeit die Forderungen für einen neuen Tarifvertrag aufstellen und die Bahn dann zu Verhandlungen auffordern. Die GDL werde sich keinesfalls in ein von Bahn und der EVG »verordnetes Tarifkorsett zwingen lassen«.

Die DB wäscht ihre Hände in Unschuld. Nachdem keine neue Vereinbarung zur Ausgestaltung der Tarifeinheit zustande gekommen sei »bleibt uns rechtlich gar nicht anderes übrig, als das TEG anzuwenden«, erklärte eine Konzernsprecherin auf »nd«-Nachfrage. Man müsse sich an Recht und Gesetz halten. Man sei allerdings nicht glücklich über diese Entwicklung, weil es zu verschiedenen Tarifregelungen für gleiche Berufsgruppen im Konzern kommen könne, wenn für die Betriebe unterschiedliche Tarifverträge gelten. Daher hoffe man, »dass wir mit EVG und GDL eine gemeinsame Lösung finden werden«.

Bei der EVG wollte sich gegenüber »nd« niemand zu der Auseinandersetzung äußern. Gerne hätte man gewusst, warum die Gewerkschaft mit ihrem Vorgehen eine Ungleichbehandlung innerhalb von Berufsgruppen bewusst in Kauf nimmt. Eine Sprecherin verwies lediglich auf eine Erklärung des Vorsitzenden Klaus-Dieter Hommel. Der bekräftigte am Dienstag, dass die EVG auf Anwendung des TEG bestehe. Man werde sich an von der Bahn und der GDL vorgeschlagenen Gesprächen über eine Neuauflage des Grundlagenvertrages, der die Anwendung des TEG ausschloss, nicht beteiligen. Die GDL habe sich »verzockt und spielt nun auf Zeit und sucht Umwege«.

Eine Lösung des Konflikts ist derzeit jedenfalls nicht in Sicht. Zumal für die GDL demnächst die Friedenspflicht endet. Dass sie bereit und in der Lage ist, ihre Forderungen auch durchzusetzen, hat sie in der Vergangenheit des Öfteren unter Beweis gestellt.

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