- Wirtschaft und Umwelt
- Mindestlohn
Spürbar niedriger als in anderen Ländern
Hans-Böckler-Studie vergleicht Mindestlöhne in der EU
Der Mindestlohn in Deutschland von 9,50 Euro brutto die Stunde ist »weiterhin spürbar niedriger« als die Lohnuntergrenzen in den westeuropäischen EU-Staaten plus Großbritannien. Diese haben alle einen Mindestlohn von 9,80 Euro und mehr. Das ergibt der diesen Freitag veröffentlichte Mindestlohnbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
In vier Ländern beträgt der Mindestlohn laut dem Bericht mehr als zehn Euro, Luxemburg hat mit 12,73 Euro die höchste Lohnuntergrenze innerhalb der EU. Die niedrigste gilt in Bulgarien mit zwei Euro. Die teils sehr unterschiedlichen Mindestlöhne in den EU-Ländern spiegeln laut WSI-Bericht zum Teil unterschiedliche Lebenshaltungskosten wider. Werden die Lebenshaltungskosten bei dem Vergleich der Lohnuntergrenze berücksichtigt, reduziert sich der Abstand zwischen den EU-Ländern mit niedriger und hoher Untergrenze laut den Wissenschaftlern vom WSI »spürbar«. Aber auch nach Berücksichtigung der unterschiedlichen Preisniveaus muss ein Mindestlohnempfänger in Bulgarien 2 Stunden und 40 Minuten länger arbeiten, um auf die gleiche Kaufkraft zu kommen, die ein Mindestlohnempfänger in Luxemburg innerhalb von einer Stunde erzielt.
Zu Beginn des zweiten Coronajahres sind die Mindestlöhne laut Bericht »deutlich schwächer angehoben worden als in den Vorjahren«. Und das, obwohl die Corona-Pandemie verdeutlicht habe, dass viele gesellschaftlich wichtige Jobs zu niedrig bezahlt werden. 17 EU-Staaten haben demnach ihre Mindestlöhne im Jahresvergleich erhöht, Ungarn hat zum 1. Februar nachgezogen, das Ex-Mitglied Großbritannien wird dies in den kommenden Wochen tun. Bis auf Estland, Griechenland und Spanien haben alle EU-Länder mit Mindestlöhnen ihre Untergrenzen zwischen Anfang 2020 und Anfang 2021 angehoben.
Gemessen am mittleren Lohn wird der Mindestlohn in Deutschland im Jahr 2019 mit lediglich 48 Prozent des Medians im WSI-Bericht als »sehr moderat« betitelt. Im EU-Vergleich liegt Deutschland damit auf dem 14. von 21 Plätzen. Bei einem Vergleich der EU-Mindestlöhne, bezogen auf den jeweiligen Landes-Durchschnittslohn, liegt der Mindestlohn in Deutschland mit 42,6 Prozent an siebter Position in der EU. Als international üblicher Anhaltspunkt für die Angemessenheit des Mindestlohns gelten 60 Prozent des jeweiligen Medianlohns beziehungsweise 50 Prozent des Durchschnittslohns. Dies hat auch die EU-Kommission in ihrem neuen Richtlinienentwurf für angemessene Mindestlöhne in der EU herausgestellt. In Deutschland entsprächen das nach einer aktuelle Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales rund zwölf Euro pro Stunde.
Würden die Mindestlöhne mittelfristig an diesen Richtwert angepasst, erhielten in Deutschland laut WSI-Bericht rund 6,8 Millionen und EU-weit gut 25 Millionen Menschen erstmals »einigermaßen auskömmliche Stundenlöhne«. Als Fazit stellen die Wissenschaftler fest, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission durch zahlreiche Initiativen für höhere Mindestlöhne auf nationaler Ebene fußen sollte.
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