Sturmwarnung für die Finanzmärkte
Dachorganisation der Zentralbanken warnt vor steigender Inflation und weiteren Gefahren nach der Pandemie
Mitten in der Coronakrise nehmen die Risiken auch auf den globalen Finanzmärkten zu. Ein großes Thema auf der virtuellen Jahrespressekonferenz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) am Montag waren ansteigende Inflationszahlen. Die BIZ mit Sitz in Basel ist die Dachorganisation der Zentralbanken, ihr Wort hat in Fachkreisen entsprechendes Gewicht.
Die Datenerhebung in Sachen Inflation ist für Statistiker allerdings schwieriger geworden. Der Grund: Geschäfte im Einzelhandel, die sonst regelmäßig befragt werden, sind geschlossen. Zudem hat sich das Konsumverhalten der Verbraucher in der Pandemie offensichtlich geändert. Während wegen des Homeoffice-Trends und wegen mangelnder Reisemöglichkeiten weniger Benzin nachgefragt wurde, stieg der Umsatz der Baumärkte rasant an; mangels Urlaub wird nun die Wohnung renoviert. Im Ergebnis fallen die Messungen der Preissteigerungsrate unschärfer als in Vor-Corona-Zeiten aus.
Das führt zu teils skurrilen Ergebnissen: So ermittelte das EU-Statistikamt Eurostat in Luxemburg auf Grundlage des kürzlich aktualisierten Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI) für Deutschland in dem kurzen Zeitraum von Dezember bis Januar einen rekordverdächtigen Anstieg der Inflation um 2,3 Prozentpunkte. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden, das den Verbraucherpreisindex (VPI) verwendet, errechnete dagegen ein Plus von 1,3 Prozentpunkten. Grund ist die unterschiedliche Zusammensetzung der Indizes. So haben etwa Pauschalreisen, deren Umsatz coronabedingt gegen Null geht, deutlich verschiedene Anteile. Die Bundesbank hält einen Anstieg der HVPI-Inflation auf drei Prozent in diesem Jahr für möglich, erwünscht sind aber nur knapp zwei Prozent.
In den USA könnte schon im Januar die Drei vor dem Komma stehen, ergab eine Umfrage der Notenbank Fed. Andere Indikatoren zeigen ebenfalls, dass die Marktteilnehmer höhere Inflation erwarten. Solche Daten sind für die Zentralbanken, als deren Sprachrohr die BIZ fungiert, von beträchtlicher Bedeutung. Eine höhere Inflation könnte sie zwingen, ihre Leitzinsen anzuheben. Das wiederum könnte die wirtschaftliche Erholung nach Corona dämpfen und würde den Schuldendienst der Staaten verteuern.
Der Leiter der Währungs- und Wirtschaftsabteilung der BIZ, Claudio Borio, sieht indes noch weitere Risiken: »Die Aussicht auf eine solidere Wirtschaftserholung verlieh den Preisen risikobehafteter Vermögenswerte Auftrieb.« Anders gesagt: Es wird mehr gezockt. Und das Verhalten von Privatanlegern zeigt laut Borio »Anzeichen von Überschwang«. In den vergangenen Wochen hatten ungewöhnliche Spekulationen mit Papieren von Gamestop, eines verlustreichen Händlers für Computerspiele, weltweit für Aufsehen gesorgt.
Eine erhöhte Risikobereitschaft zeigen aber auch Profis. So fanden insbesondere Anleihen von Unternehmen mit einem nie-drigen Rating reißenden Absatz. Und im Februar erreichten viele Aktienindizes ein neues Allzeithoch. All das erinnert die BIZ-Experten an den Boom mit Technologiewerten Ende der 1990er Jahre - und der endete mit einem Börsenkrach.
Ohnehin nehmen die Schwankungen auf den Finanzmärkten weiter zu. Die Zeiten werden also rauer. Dazu trägt auch bei, dass »graue« Märkte, auf denen sich sogenannte Nichtbanken tummeln, größer werden. Ein populäres Beispiel ist die Internetwährung Bitcoin. Diese neuen Akteure entziehen sich der Regulierung durch die Zentralbanken, und es wird für sie schwieriger, die Geldstabilität zu gewährleisten, was ihre eigentliche Aufgabe ist.
Neue Risiken gehen auch von der Realwirtschaft aus. Die umfangreichen geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen haben die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie bislang begrenzt. Das muss nicht so bleiben. Eine Pleitewelle könnte auch das Finanzsystem hart treffen.
Die »Jagd nach Rendite«, so BIZ-Ökonom Borio, stütze die weitgehend positive Stimmung der Akteure auch gegenüber aufstrebenden Volkswirtschaften, vor allem in Asien, was die Kapitalflüsse in diese Länder verstärke. Doch die Preise dafür steigen, da Anleger eine Entschädigung für die steigenden Inflationsrisiken erwarten. Das schlage bereits auf Staatspapiere durch. Laut Borio bestätigen die jüngsten Marktturbulenzen, dass der Anstieg der Anleiherenditen und der Trend zu höherer Inflation den Finanzmarktausblick »in einem ganz neuen Licht« erscheinen ließen. Das kann durchaus als Warnung an Politik und Banken verstanden werden, die Stabilität der globalen Finanzmärkte trotz Corona-Belastungen nicht überzustrapazieren.
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