Vom Kind zum Pfleger

Die Pandemie hat die Situation in der häuslichen Pflege massiv verschärft

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 4 Min.

Als »Mission Impossible«, also einen unlösbaren Auftrag, beschreibt Melina Sprengel die Aufgabe der häuslichen Pflege unter den aktuellen Bedingungen. Die Sozialarbeiterin vom Verein »Echt unersetzlich« unterstützt Kinder und Jugendliche, die sich um kranke oder behinderte Familienmitglieder kümmern - ohne Unterstützung von außen. »Sie machen das, was sonst der ambulante Pflegedienst macht«, erklärt die Beraterin am Montag in einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses. Mehrere Expert*innen berichten, wie es in der ohnehin schwer zerschlissenen Pflegelandschaft der Hauptstadt nach einem Jahr Pandemie aussieht. Neben den Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen in den Pflegeheimen geht es diesmal auch um die knapp 130 000 Pflegebedürftigen, die von rund 200 000 Angehörigen Zu Hause gepflegt werden.

Die Organisation, für die Melina Sprengel tätig ist, ist die einzige ihrer Art in Berlin, die versucht, sehr junge pflegende Menschen zu unterstützen. Die betroffenen Familien seien extrem schwer erreichbar und das Thema ein riesiges Dunkelfeld, berichtet die Beraterin. Das hätte auch zur Folge, dass es noch immer wenig fachliche Aufmerksamkeit für pflegende Kinder gibt: »Viele Menschen können sich gar nicht vorstellen, dass es das gibt.«

Dabei hat die Pandemie den Alltag dieser jungen Menschen zusätzlich erschwert: »Die Schließung von Tagespflegeeinrichtungen im ersten Lockdown hatte zur Folge, dass in zum Teil beengten Wohnverhältnissen zu pflegende Personen dauerhaft mit Familienangehörigen zusammen waren, die Homeschooling und Homeoffice organisieren mussten.« Dadurch seien immer mehr junge Menschen in die Pflegeverantwortung gerutscht. Auch die Lockerungen im Sommer brachten für viele junge Menschen mit Pflegeaufgaben keine Entlastung: »Es gab Kinder, die auch dann nicht zur Schule oder in den Sportverein gegangen sind, als es wieder möglich war - weil sie Angst hatten, sich anzustecken und dadurch den zu pflegenden Menschen zu gefährden«, berichtet Sprengel.

Dabei ist eine freiwillige soziale Isolation für junge Menschen eine enorme Last. Valide Zahlen aus Berlin gebe es keine, bedauert die Expertin, verweist aber auf eine belastbare Studie aus Großbritannien: Bis zu 60 Prozent höheres Stresserleben sei dort bei pflegenden Kindern und Jugendlichen festgestellt worden, nicht zuletzt aufgrund einer drastischen Erhöhung der Pflegezeit durch die Lockdowns auf bis zu 80 Wochenstunden.

In der anschließenden Debatte fordert Gabriele Tamme-Parr, die mit »Wir pflegen« und »Pflege in Not« gleich zwei Unterstützungsvereine vertritt, eine Altersbegrenzung für pflegende Menschen - nach unten wie nach oben: »Es sind ja nicht nur Kinder, die diese Aufgaben übernehmen, sondern oft versorgt auch die 70-jährige Tochter die 90-jährige Mutter«, erklärt Tamme-Parr. Sie erzählt von einer alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern von 11 bis 17 Jahren, die plötzlich rund um die Uhr für ihren kranken Vater mit Pflegegrad 2 da sein muss, weil aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie im vergangenen März die Einrichtung der Tagespflege schließen musste, wo der Pflegebedürftige ein bis drei Tage in der Woche verbrachte.

»Das ansonsten in Berlin breit vorhandene Unterstützungssystem ist seit Beginn der Pandemie lahmgelegt«, beklagt die Pflegeexpertin. Den betroffenen Menschen fehle es an Kontakten, Entlastung und Ausgleich. Es komme zu starken bis extremen Überforderungssituationen, weiß Tamme-Parr. Räumliche Enge werde als physische wie auch als emotionale Belastung wahrgenommen. Oft gebe es auch zu große Erwartungshaltungen der zu Pflegenden, die die Angehörigen überforderten. Tamme-Parr berichtet von Aggressionen, gar Gewalttaten. Sie fordert zumindest eine finanzielle Entlastung, um die Situation zu entspannen. Auch sollte es bis zu 20 Wochen Lohnersatz für berufstätige pflegende Angehörige geben. Lobende Worte findet die Expertin hingegen für die Organisation in den Berliner Impfzentren, die immer mehr der häuslich zu Pflegenden zurzeit mit Impfungen versorgen.

Noch ein wenig mehr Optimismus verbreitet Jan Basche von der Sozialstation Mobil. Entgegen vieler Unkenrufe über die mangelnde Impfbereitschaft bei ambulantem Pflegepersonal höre er von Impfquoten von bis zu 90 Prozent. Es käme nun darauf an, seitens der Einrichtungen der Verunglimpfung des Astra-Zeneca-Impfstoffs entgegenzutreten, um die Immunisierung weiter voranzutreiben.

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