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Höchstwerte rechter Gewalt in Brandenburg
Verein Opferperspektive registriert für Brandenburg 273 Übergriffe mit 416 betroffenen Menschen
In Templin quälte ein Neonazi über mehr als ein Jahr hinweg einen jungen Mann. Sein Opfer musste ihm die Wohnung putzen, Einkäufe erledigen, auf dem Boden kriechen und wie ein Hund bellen, den Hitlergruß zeigen und auch sonst alles tun, was der Neonazi von ihm verlangte. Der Sadismus des Täters gipfelte in dem Versuch, seinem Opfer mit einer Zange Gliedmaßen abzutrennen. Erst im Januar 2024 endete das Martyrium. Der Neonazis musste sich vor Gericht verantworten.
Am Freitag schildert Joschka Fröschner vom Verein Opferperspektive den Fall. »Einer der schlimmsten Fälle, die wir in den letzten Jahren begleitet haben«, sagt er. 273 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten im Land Brandenburg registrierte der Verein für das vergangene Jahr – und sechs der als sozialdarwinistisch eingestuften Vergehen des Templiner Neonazis sind dabei mitgezählt. Nicht einmal vor Kindern machen rechte Schläger halt. Im Landkreis Oberhavel war ein 13-jähriger Junge auf dem Weg von der Schule nach Hause von Jugendlichen wiederholt rassistisch beleidigt worden. Im Dezember haben sie ihn dann geschlagen, getreten und schwer verletzt. Der 13-Jährige erlitt Hirnblutungen und leidet nun an Lähmungserscheinungen seiner Arme und Beine.
Die von dem Verein Opferperspektive vorgelegte Dokumentation spricht von mindestens 416 Betroffenen rechter Gewalt, darunter 121 Frauen und Mädchen. Allein 130 Delikte seien rassistisch motiviert gewesen. Besonders besorgniserregend sei die Zunahme der Angriffe auf politische Gegner um nahezu 75 Prozent. Von 66 solchen Übergriffen hat die Opferperspektive Kenntnis erlangt.
»Wer es mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus ernst meint, muss handeln – nicht nur reden.«
Anne Brügmann Opferberaterin
Die Gesamtzahl der Angriffe bewegt sich jetzt wieder auf dem hohen Niveau der Jahre 2015 und 2016. »Wir haben es mit einer Eskalation rechter Gewalt zu tun, die nicht nur einzelne Menschen trifft, sondern sich gegen unsere vielfältige und demokratische Gesellschaft richtet«, sagt Vereinsgeschäftsführerin Judith Porath. »Die extreme Rechte in Brandenburg tritt zunehmend selbstbewusst und aggressiv auf und duldet in ihrem Dominanzstreben keinen Widerspruch.« Allein 141 Körperverletzungen waren zu beklagen, darunter 66 gefährliche. Es gab außerdem vier massive Sachbeschädigungen und eine Brandstiftung.
Der Brandanschlag richtete sich gegen ein Kulturobjekt in Altdöbern, in dem die Betreiberfamilie auch wohnt. Die Flammen fraßen sich bis an das Kinderzimmer heran. Ein Glück, dass kein Mensch zu Schaden kam. Die Brandstifter, zwei 15-jährige Jugendliche, hatten das Kulturobjekt der linken Szene zugerechnet – fälschlicherweise übrigens. Die Selbsteinschätzung der Betreiber sei eine andere, berichtet Opferberaterin Anne Brügmann.
»Bereits vor zehn Jahren konstatierten wir eine Normalisierung rechter Gewalt«, bedauert Geschäftsführerin Porath. »Fast täglich erreichen uns Meldungen.« Brügmann ergänzt, für das erste Quartal 2025 sei schon wieder eine hohe Fallzahl zu verzeichnen. »Wer es mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus ernst meint, muss handeln – nicht nur reden.« Es brauche eine konsequente Strafverfolgung durch Polizei und Justiz. Es brauche klare Signale aus der Politik, dass der Opferschutz oberste Priorität habe.
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Die Opferperspektive stuft, anders als die Polizei, auch Fälle von Bedrohung als Gewalt ein. Solche Vorkommnisse flößen zuweilen mehr Angst ein als eine schnell wieder vergessene Ohrfeige und machen krank, heißt es. Beispiel dafür sei eine Flüchtlingsfamilie mit zwei Kindern, die in einer Kleinstadt wohnt und von einem Nachbarn schon seit zwei Jahren belästigt wird. Dieser schlage gegen die Wand, drehe die Musik voll auf oder singe Lieder, in denen er der Familie den Tod wünscht.
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