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Berliner Autobahnbrücke: Eventuell Abriss ohne Umwege
Ringbahn bleibt auf unbestimmte Zeit unterbrochen
Bagger sind am Freitagnachmittag zugange rund um die nicht mehr ausreichend tragfähige Ringbahnbrücke der A100 im Bereich des Dreiecks Funkturm. Sie reißen das marode Bauwerk, das Berlin seit gut einer Woche in Atem hält, jedoch nicht ab. Es wird eine Baustraße angelegt, um die Brücke mit allerlei schwerem Gerät zu erreichen.
Ansonsten gibt es dieser Tage nur wenige Gewissheiten über die Brücke aus dem Jahr 1963. Hieß es am Mittwoch noch, dass der S-Bahnbetrieb vorläufig nicht von dem Desaster betroffen sei, kam am Donnerstagabend plötzlich die Nachricht, dass die Ringbahnlinien der S-Bahn ab 22 Uhr zwischen Westend und Halensee unterbrochen sein werden. Der wichtige Umsteigeknoten Westkreuz wird von S41, S42 und S46 nicht mehr erreicht. 50 000 Menschen, die sonst täglich auf diesem Abschnitt unterwegs sind, müssen sich andere Wege suchen.
Am Donnerstagabend teilte die zuständige Autobahn GmbH des Bundes mit, dass die Sperrung nötig sei, bis zusätzliche Stützen und ein Schutzgerüst an der Ringbahnbrücke montiert sind. Am Freitagnachmittag ist das möglicherweise schon wieder überholt.
Recht verklausuliert deutet Dirk Brandenburger, Technischer Geschäftsführer der Autobahn GmbH an, dass möglicherweise gar keine Stützen aufgebaut werden, sondern direkt abgerissen wird. »Unser Ziel wird sein, so schnell wie möglich eine Lösung zu erarbeiten, damit der S-Bahn-Verkehr wieder laufen kann«, sagt er auf die dritte Nachfrage von Journalistinnen und Journalisten bei der recht spontan einberufenen Pressekonferenz direkt an der fraglichen Brücke.
»Welche Lösung das sein wird, ob es die temporäre Notfallunterstützung, die Vorsorgemaßnahmen sein oder ob wir direkt in den Abbruch einsteigen werden«, das werde »in diesen Stunden intensiv diskutiert«, erklärt er. In den nächsten Tagen solle die Entscheidung fallen, kündigt Brandenburger an.
»Daher ist es mir auch im Moment noch nicht möglich, für die beiden Varianten, die jetzt gegenübergestellt werden, konkrete Zeiten zu nennen, weil es natürlich davon abhängig ist, welche Variante nachher gewählt wird«, so Brandenburger weiter.
»Spontane Aktionen helfen hier nicht, spontane Aktionen gehen nicht.«
Dirk Brandenburger Technikchef Autobahn GmbH
»Spontane Aktionen helfen hier nicht, spontane Aktionen gehen nicht«, unterstreicht der Technikchef der Autobahn GmbH. Für welche der beiden möglichen Varianten man sich nun entscheiden wird – die Maßnahmen müssten »sehr gründlich vorbereitet werden«. Denn schließlich stehe Sicherheit an oberster Stelle.
Offenbar weiß bei der Autobahn GmbH derzeit nicht die Linke, was die Rechte tut. Direkt nach Ende der Pressekonferenz ist die Polizei zu einer unter der Brücke liegenden Kleingartenanlage ausgerückt, wie mehrere Medien berichteten. Die Polizei sei gegen 14.30 Uhr von der Autobahn-Gesellschaft um Amtshilfe gebeten worden, teilte eine Behördensprecherin mit.
- Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) äußerte sich am Freitag auf »X« wie folgt: »Ich nehme die Situation an der #A100 sehr ernst und stehe in engem Austausch mit der Verkehrssenatorin. Die Sicherheit der Berlinerinnen und Berliner steht für mich an erster Stelle.«
Gemeinsam mit allen Beteiligten arbeite Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) »mit Hochdruck dran, die Situation an der Ringbahnbrücke zu lösen und den Verkehrsfluss in unserer Stadt so schnell wie möglich wiederherzustellen«. Der Berliner Senat werde »alle ihm zur Verfügung stehenden Maßnahmen ergreifen, um diesen Prozess zu beschleunigen«. - Der Berliner Fahrgastverband IGEB fragte, ebenfalls auf »X«, in Reaktion auf den Post des Regierenden Bürgermeisters: »Existiert im Kopf des Regierenden ein Gedanke für die ÖPNV-nutzende Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner? Oder sind sie exklusiv der Regierende für die PKW-Nutzer des Landes Brandenburg und aus Zehlendorf-Südwest?«
- Auch die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus wurde bereits am Donnerstag von der IGEB auf »X« mit einer Frage bedacht: »Habt ihr da im Lichte der aktuellen Ereignisse (Ringbahn-Blockade durch kaputte Autobahn) auch etwas anzubieten?« Das war in Reaktion auf die Bitte der CDU-Fraktion an Innensenatorin Iris Spranger (SPD), dass »die Benutzung der Busspur für Autofahrer während des BVG-Streiks« durch eine entsprechende Dienstanweisung ermöglicht werden sollte – »ohne Knöllchen oder Ordnungswidrigkeit«.
- Der aus dem Fahrrad-Volksbegehren hervorgegangene Verein Changing Cities fordert Busspuren auf der Strecke der Ersatzbusse für die Ringbahnlinien S41 und S42 auf Messedamm und Königin-Elisabeth-Straße. »Da hier keine Busspuren vorhanden sind, steht auch er im Stau. Dabei ließe sich Busspuren mit der neuen Straßenverkehrsordnung sehr leicht anordnen. Dasselbe gilt für Radwege«, heißt es in einer Mitteilung vom Freitag
- Die Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus unterstellte Verkehrssenatorin Bonde in einer Mitteilung am Freitag, dass sie »während der laufenden Plenarsitzung von der Sperrung der S-Bahn bereits Kenntnis gehabt haben muss, aber die Öffentlichkeit sowie die Abgeordneten nicht unterrichtet hat«. Das sei ein »Skandal und eine Missachtung des Parlamentes«, so Fraktionschef Werner Graf weiter.
Bonde zeige damit erneut, dass sie »keine Verantwortung für die Lösung der Verkehrskrise« übernehme. »Das Krisenmanagement der Senatorin wirkt zunehmend desorganisiert und scheint sich ausschließlich auf das Prinzip Hoffnung«, so die Einschätzung von Werner Graf. Der Regierende Bürgermeister müsse bis spätestens zur nächsten Senatssitzung am Dienstag »für Aufklärung sorgen und einen Plan vorlegen, wie dieses Verkehrschaos nun gelöst werden soll«.
Grund sei »Einsturzgefahr« der gesperrten A100-Brücke gewesen. Die Polizei sei für alle Maßnahmen bereit gewesen, sagte die Polizeisprecherin. Zunächst hätten aber keine Menschen die Anlage verlassen müssen. Es habe eine Neubewertung der Situation gegeben, erklärte die Sprecherin. Details dazu nannte sie nicht. Sie verwies auf die Zuständigkeit der Autobahn GmbH.
»Es besteht keine Einsturzgefahr«, informierte proaktiv Petra Nelken, Sprecherin der Senatsmobilitätsverwaltung. Ein übereifriger Beschäftigter der Autobahn GmbH habe mit seinen Aussagen falschen Alarm beim Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf ausgelöst, erklärt Nelken gegenüber »nd«.
So oder so könnte die S-Bahn Wochen oder Monate unterbrochen sein. Ganz kalt erwischt wurde die DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH nicht von der Maßnahme. »Wir haben etwas geahnt«, sagt S-Bahn-Chef Peter Buchner. Entsprechende Umleitungs- und Ersatzkonzepte seien noch einmal durchgespielt und untersucht worden, gleich nachdem die ersten Brückenprobleme bekannt wurden – Wochen vor der Sperrung.
Zwischen Westend und Halensee, über den intakten Teil des Rings, verkehren S41 und S42 nun alle zehn Minuten. Jeder zweite Zug fährt von Halensee über eine Verbindungskurve bis zum Bahnhof Charlottenburg, wo dann wenigstens alle 20 Minuten direkt in die Stadtbahnlinien S3, S5, S7 und S9 umgestiegen werden kann. Sonst geht es seit Donnerstagabend in 14 Gelenkbussen im Ersatzverkehr zwischen Halensee und Westend voran. Doch wo die S-Bahn bisher fünf Minuten brauchte, kann der Bus im Berufsverkehr auch mal eine satte Dreiviertelstunde unterwegs sein.
»Das Wichtigste ist, dass wir im höchstbelasteten Abschnitt der Ringbahn zu den Hauptverkehrszeiten einen Fünf-Minuten-Takt anbieten können«, sagt Peter Buchner zu »nd«. Zwischen Westend und Tempelhof wird dieses Angebot weiter gefahren. 150 000 Menschen nutzen täglich die Osthälfte der Ringbahn.
S-Bahn-Chef Peter Buchner formuliert noch »eine Riesenbitte an die Kollegen der Autobahn GmbH: Ein bisschen Vorlauf hilft uns sehr.« So kurzfristige Entscheidungen von einer Stunde auf die andere seien »extrem schwierig, sowohl betrieblich, aber noch mehr in der Kundeninformation«. Deswegen seien sehr viele Kunden am Freitagmorgen noch nicht informiert gewesen »und mussten sich neue Wege suchen«.
Weitere Verbesserungen im S-Bahn-Betrieb schließt Buchner aus. Da die Verbindungskurve von Halensee nach Charlottenburg nur eingleisig ist, könne stabil nicht mehr als ein 20-Minuten-Takt gefahren werden. Ebenso seien Verlängerungen von Süden bis Westkreuz und von Norden bis Messe Nord nicht möglich.
Einerseits fehlen Weichen für den Gleiswechsel, andererseits seien beide Stationen betrieblich sogenannte Haltepunkte, an denen reguläre Züge nicht enden oder beginnen dürfen. Und für Pendelzüge müsste jeweils ein Bahnsteiggleis in Halensee und Westend für die anderen Züge gesperrt werden, womit der Zehn-Minuten-Takt auf dem restlichen Ring nicht mehr stabil gefahren werden könnte.
Hier rächen sich die Spar-Ausbauten der Vergangenheit. Als man noch zu West-Berliner Zeiten die Wiederinbetriebnahme der Ringbahn anging, wurde die Verbindungskurve nach Charlottenburg zweigleisig geplant. Und sowohl in Halensee als auch in Westend war ein drittes Bahnsteiggleis vorgesehen. Die Realisierung wurde damals auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
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Als Dritte im Bunde ist Berlins Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) in einer blau-orangenen Bauarbeiterjacke vor Ort. »Ich habe heute zu einem Spitzengespräch eingeladen«, verkündet sie. Eingeladen seien der Bundesverkehrsminister, das Fernstraßen-Bundesamt, die Feuerwehr, die Polizei, die BVG, die S-Bahn, die für das Dreieck Funkturm zuständige Planungsgesellschaft Deges sowie die Autobahn GmbH. Daraus solle ein Lenkungskreis werden. »Dieser Lenkungskreis soll dem Ziel dienen, Entscheidungen sehr kurzfristig treffen zu können«, so Bonde weiter.
»Sicherheit, klar, ist absolut entscheidend, aber zweitens ist Geschwindigkeit entscheidend«, unterstreicht Bonde. »Das heißt, alle Maßnahmen sind zu ergreifen durch die Autobahn GmbH des Bundes, die zu dieser Geschwindigkeit beitragen«, so die Senatorin. Und sie nennt noch einmal die Maßnahmen, die sie erwartet. Also Bauen 24 Stunden, sieben Tage die Woche, Bonus-Regelungen bei schnellerer Bauzeit – sowie »zu versuchen, möglichst modular zu bauen, so weit das möglich ist, mit einem hohen Vorfertigungsgrad«.
Dass Bonde explizit modulares Bauen als Beschleunigungsmöglichkeit nennt, ist durchaus pikant. Erst vor wenigen Wochen hatte das Bauunternehmen Max Bögl die Gelegenheit bekommen, in einer Art Werbeblock seine Modulbrücken im Mobilitätsausschuss zu preisen. Offenbar auf Einladung der CDU.
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