BGH verlangt mehr Schutz von Dementen
Tödlicher Unfall beim Fenstersturz in einem Pflegeheim
Pflegeheime müssen nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (Az. III ZR 168/19) genauer darauf achten, dass sie auch schwer demente Bewohner sicher unterbringen.
Anhand eines Falls aus Bochum entschieden die BGH-Richter am 14. Januar 2021, dass an Demenz Erkrankte bei erkannter oder erkennbarer Selbstschädigungsgefahr nicht im Obergeschoss mit leicht erreichbaren, einfach zu öffnenden Fenstern untergebracht werden dürfen. Der Vorsitzende Richter machte aber deutlich, dass immer im Einzelfall Gefahren und Krankheitsbilder beurteilt werden müssten.
Nach Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft waren 2018 in Deutschland rund 1,7 Millionen Menschen demenzkrank. Bis 2050 prognostizieren Experten einen Anstieg auf rund drei Millionen. nd
Witwe fordert Schmerzensgeld
Konkret hatte der 3. Zivilsenat des BGH es mit einem tragischen Fall zu tun: Im Sommer 2014 war ein Demenzpatient aus einem Dachfenster im dritten Obergeschoss der Bochumer Einrichtung gestürzt und Monate später an den Folgen gestorben.
Seine Ehefrau wollte mindestens 50 000 Euro Schmerzensgeld vom Heimbetreiber, weil dieser aus ihrer Sicht nicht genügend Vorsorge zum Schutz ihres Mannes getroffen hatte. So habe der Abstand zwischen Fußboden und Fenster 1,20 Meter betragen. Vor dem Dachfenster hätten sich jedoch ein 40 Zentimeter hoher Heizkörper sowie in 70 Zentimetern Höhe eine Fensterbank befunden. Es hätte schon eine Vorrichtung gereicht, mit der man die Fenster nur einen Spalt weit öffnen kann, sagte der Anwalt der Witwe.
Der Vertreter der SBO Senioreneinrichtungen der Stadt Bochum gGmbH verwies darauf, dass der 64-Jährige noch sehr mobil gewesen sei und man dann alle Fenster in dem Gebäude hätte entsprechend ausrüsten müssen. Das sei mit Blick auf die Freiheit der anderen Bewohner nicht angemessen gewesen. Der Heimbetreiber sah allerdings auch keine Gefahr, dass der Mann aus dem Fenster klettern könnte.
Krankheitsbild nicht genug beachtet
Dieser Sichtweise waren das Landgericht Bochum (Az. I-8 O 8/18) und das Oberlandesgericht Hamm Az. I-12 U 9/19) als Vorinstanzen gefolgt und hatten der Frau das geforderte Schmerzensgeld verwehrt. Dagegen ging die Witwe am BGH vor.
Die BGH-Richter entschieden, das Oberlandesgericht müsse den Fall noch einmal neu beurteilen. Für das erste Urteil sei das gesamte Krankheitsbild des Mannes nicht ausreichend beachtet worden. Er sei noch sehr mobil gewesen, zugleich aber unruhig und desorientiert. Außerdem habe er Gedächtnisstörungen und Selbstgefährdungstendenzen gehabt. Durch den Heizkörper und das Fensterbrett habe er das Dachfenster treppenartig erreichen können. Die Beurteilung des OLG für das Risiko eines Unfalls berücksichtige aber nicht all diese Faktoren. Im neuen Verfahren sollte ein Sachverständiger zurate gezogen werden.
Der Anwalt der Witwe sagte nach der Urteilsverkündung, es sei nicht in erster Linie um das Schmerzensgeld gegangen, sondern darum, etwas für Gerechtigkeit zu sorgen. Man sei mit der Gesundheit zu lasch umgegangen. Ein Heimträger könne natürlich nicht alles verhindern. Aber wenn nicht mal eine Tritthilfe verhindert werden könne, seien die Standards zu niedrig.
Signalwirkung für andere Fälle
Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz hofft, dass das Oberlandesgericht im zweiten Verfahren anders entscheidet. Das hätte Signalwirkung für andere Fälle. Eigentlich sei der Schutz von Patienten nicht Aufgabe der Gerichte, sondern des Gesetzgebers. Aber in der Politik gebe es im Moment niemanden, der da etwas ändern wolle. Daher bleibe nur, dass Gerichte den konkreten Fall würdigen, so Brysch.
Anders als bei Produkten, bei denen der Hersteller die Sicherheit nachweisen müsse, gebe es keine Dienstleistungshaftungspflicht in Deutschland. Daher müssten Angehörige oder Hinterbliebene belegen, dass die Heimträger oder Mitarbeiter verantwortlich für einen Schaden seien. dpa/nd
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