- Wirtschaft und Umwelt
- Erinnerung an Fukushima
»Alle Atomkraftwerke abschalten!«
Bundesweit erinnern Aktivisten an die Fukushima-Nuklearkatastrophe und demonstrieren gegen Atomenergie
Am 11. März 2011 löste ein schweres Beben mit anschließendem Tsunami eine Atomkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima aus. Daran wurde am Wochenende bei Demonstrationen in Berlin, am Atomkraftwerk Neckarwestheim bei Stuttgart und im nordrhein-westfälischen Würgassen erinnert, zudem gab es in rund 20 deutschen Städten Mahnwachen. Wegen der Corona-Pandemie fanden alle Kundgebungen unter besonderen Hygienebedingungen statt.
Zahlreiche örtliche Bürgerinitiativen verzichteten ganz auf Versammlungen. Sie organisierten Onlinevorträge oder beteiligten sich an einer Großplakataktion, die von der Anti-Atom-Organisation »Ausgestrahlt« und dem Umweltinstitut München organisiert wurde. In mehr als 50 Städten hingen riesige Plakatwände mit der Botschaft »Nie wieder! 10 Jahre Fukushima: Alle Atomkraftwerke abschalten!« Zwar seien 2011 als direkte Folge der Fukushima-Katastrophe und der Massenproteste in Deutschland acht Reaktoren abgeschaltet worden, sagte »Ausgestrahlt«-Sprecher Jochen Stay, doch sechs Atomkraftwerke seien auch zehn Jahre danach noch am Netz. Die Risiken in den alten Anlagen würden mit jedem Tag größer. Zudem werde weiter Atommüll produziert, von dem niemand wisse, wie er über Jahrtausende sicher gelagert werden kann. Deshalb müssten die Atomkraftwerke jetzt abgeschaltet werden, und nicht erst Ende 2022.
In Berlin demonstrierten am Samstag mehrere Hundert Menschen vor dem Brandenburger Tor gegen Atomkraft. Zu der Kundgebung hatten die atomkraftkritische Ärzteorganisation IPPNW sowie mehrere Umwelt- und Anti-Atomkraft-Organisationen aufgerufen. Viele Teilnehmer schwenkten Fahnen oder hielten kleine Windräder mit der Anti-Atom-Sonne in der Hand. Auf einem großen Transparent stand: »Zehn Jahre Fukushima: Atomkraft ist kein Klimaretter«. Vor allem in Wirtschaftskreisen waren zuletzt - vorgeblich mit Blick auf die Klimakrise - Forderungen laut geworden, die Restlaufzeiten der deutschen Atomkraftwerke zu verlängern oder mit angeblich neuen Reaktortypen einen Wiedereinstieg in die Atomenergie zu vollziehen. »Atomkraft ist nicht nur gefährlich, sondern auch teurer als jede andere Energieerzeugungsart«, sagte Sönke Tangermann von Greenpeace Energy in Berlin. »Und angesichts des immer aufwendigeren Uran-Abbaus keineswegs völlig CO2-frei.«
Am Bahnhof Kirchheim am Neckar versammelten sich am Sonntagmittag ebenfalls Hunderte zu einem Demo-Zug. Ziel war das nahe gelegene Atomkraftwerk (AKW) Neckarwestheim. Erst am Donnerstagabend hatte der ehemalige Atomaufseher im Bundesumweltministerium, Dieter Majer, Rohrrisse im Reaktor von Block 2 des Kraftwerks als »Störfall« bezeichnet und der baden-württembergischen Atomaufsicht schwere Versäumnisse vorgeworfen. Die grün geführte Landesregierung habe die Gefahr durch die Risse offensichtlich massiv unterschätzt, so Armin Simon von »Ausgestrahlt«. 2011 hätten die großen Anti-Atom-Proteste in Folge des Super-GAUs in Fukushima die erste grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg erst möglich gemacht. »Umso bitterer ist, dass ebenjene Regierung die akute Gefahr durch abreißende Rohre im AKW Neckarwestheim seit Jahren ignoriert, um den Reaktor bis zum letztmöglichen Termin am Netz zu lassen«, so Simon. Auch Brigitte Dahlbender, Landesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert: »Obwohl schon mehrere Gutachter bestätigt haben, dass seine rissigen Rohre zu einem schweren Atomunfall führen können, lässt die grüne Landesregierung das Atomkraftwerk weiterlaufen.« Das Atomkraftwerk müsse umgehend stillgelegt werden. Neckarwestheim 2 darf noch bis Ende 2022 Strom und Atommüll produzieren.
Ebenfalls am Sonntag demonstrierten Umweltschützer aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen in Würgassen (Kreis Höxter). Anlass war die Benennung des Standortes durch die Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) vor einem Jahr. »Am 7. März jährt sich auch der Widerstand gegen das Vorhaben, das Dreiländereck NRW, Niedersachsen und Hessen zum zentralen Umschlagplatz für 90 Prozent des Atommülls aus ganz Deutschland zu machen«, sagte der Vorsitzende des Vereins »Atomfreies 3-Ländereck«, Dirk Wilhelm. Das Lager soll auf dem Gelände des stillgelegten AKWs Würgassen entstehen. Insgesamt sollen über drei Jahrzehnte lang 303 000 Kubikmeter Atomschrott aus ganz Deutschland angefahren, sortiert und zum Endlager Schacht Konrad in Salzgitter abgefahren werden. Dies würde zu täglichen Gefahrguttransporten führen, vor allem durch die Landkreise Höxter, Holzminden, Kassel und Göttingen. »Diese Standortentscheidung fiel damals im Geheimen«, erklärte »Ausgestrahlt«. »Die Region hatte kein Mitspracherecht und erfuhr davon erst aus den Medien.« Neben Bürgerinitiativen und Umweltgruppen haben sich zahlreiche Kommunen und alle umliegenden Landkreise gegen das Zwischenlager in Würgassen ausgesprochen. Die Kundgebung am Tor des AKW Würgassen fand coronabedingt als Autodemo statt. Durch Lichthupen, Blinken und Hupen konnten sich alle Teilnehmenden in die Aktion einbringen, hieß es. Die Redebeiträge wurden über eine Anlage übertragen.
Bei der Nuklearkatastrophe in Fukushima im März 2011 kam es in drei Blöcken des AKW Fukushima Daiichi zur Kernschmelze und somit zum Super-Gau, Explosionen in den Blöcken 1 bis 4 zerstörten unter anderem die Gebäudehüllen. Über Wochen zogen radioaktive Wolken von Fukushima über Japan und den Pazifik. Bis zu 150 000 Einwohner mussten das Gebiet vorübergehend oder dauerhaft verlassen, Hunderttausende in landwirtschaftlichen Betrieben zurückgelassene Tiere verhungerten. Rund um das Kraftwerk gibt es bis heute eine 300 Quadratkilometer große Sperrzone. Überall auf dem Gelände liegt Metallschrott, piepende Geigerzähler machen die radioaktive Gefahr hörbar. Täglich sind immer noch 5000 Menschen vor Ort im Einsatz.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!