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Anschluss für Schulen gesucht
Mobilfunk-Internetrouter als schnelle Zwischenlösung für Digitalisierungsdefizite
Es sei ja nicht so, dass sich seit Beginn der Pandemie überhaupt nichts getan hätte in Sachen Digitalisierung der Berliner Schulen, sagt der Softwareentwickler Thomas Tursics. »Es gibt in dieser Hinsicht auf jeden Fall Bewegung.« Ein Teil der für die Gebäude der allgemeinbildenden Schulen zuständigen Bezirke habe sich »aufgemacht und dafür gesorgt, dass die Internetanbindungen vor Ort verbessert werden«. Dass an einigen Schulstandorten mehr passiert ist als an anderen, hänge letztlich auch damit zusammen, »wie gut die Bezirke aufgestellt sind, personell und fachlich«, so Tursics zu »nd«.
Der langjährige Elternvertreter aus Pankow weiß, wovon er spricht. Seit Jahren beschäftigt er sich in seiner Freizeit mit Problemen im Bildungsbereich und trägt entsprechende Daten hierzu zusammen, die er im Anschluss auf seiner Homepage in visualisierter Form veröffentlicht. Im Herbst vergangenen Jahres hatte er sich schließlich die Internetanbindung der Schulen vorgenommen. Das Ergebnis: mitunter erbaulich, über weite Strecken aber erschreckend.
Über 40 Prozent aller allgemeinbildenden Schulen in Berlin verfügen demnach über Internetanbindungen, die für Wohngemeinschaften passabel sind, nicht aber für Einrichtungen mit Hunderten Schülern und Lehrkräften. Für die digitale Daheimbeschulung denkbar miese Voraussetzungen.
Das hat nun auch die Senatsbildungsverwaltung erkannt. Vergangene Woche verkündete das Haus von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) die frohe Kunde, dass es jeder Schule, die Bedarf anmeldet, »mobile Sim-Karten-Router zur Verfügung stellen« will. Insgesamt 10 000 Geräte sollen angeschafft werden, so ein Sprecher der Bildungsverwaltung, aus deren Etat die Gelder stammen. Die Anschaffungskosten hierfür belaufen sich auf rund eine Million Euro, hinzu kommen jährlich 1,2 Millionen Euro Betriebskosten. Die Router mit Mobilfunkanbindung seien eine »zügig realisierbare Zwischenlösung«, bis die »Schulstandorte mit einer leistungsstarken Breitband-Glasfaseranbindung und entsprechend ertüchtigten Netzwerk- und WLAN-Strukturen« ausgestattet seien. Und das kann dauern.
Zwar soll laut Bildungsverwaltung demnächst an 25 Berliner Schulen ein Pilotprojekt gestartet werden, das für diese »unkompliziert« den Weg für »sehr leistungsstarke Anbindungen« frei macht. Bei der großen Masse der Schulen dürfte es aber gemächlicher zugehen. So sind die Ausschreibungen für die Glasfaseranbindungen mit Ein-Gigabit-Geschwindigkeiten erst kürzlich vorbereitet worden. Mit ersten Zuschlägen im Vergabeverfahren rechnet die Verwaltung in der zweiten Jahreshälfte. In der Folge könnten etwa 250 Standorte im Jahr angeschlossen werden. Berlin hat alles in allem über 800 öffentliche Schulen.
Stefanie Remlinger, Bildungsexpertin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, hat nicht zuletzt mit Blick auf diese Zahl erhebliche Zweifel, ob das bislang vorgesehene Ausschreibungsprozedere der richtige Weg ist. Weitaus sinnvoller und, so Remlinger zu »nd«, »wesentlich wirtschaftlicher« wäre es, die Ressourcen des Berliner Landesnetzes auszubauen und für den Anschluss an die Schulen zu nutzen. Schließlich verfügt das vom IT-Dienstleistungszentrum Berlin (ITDZ) betriebene landeseigene Verwaltungs-Stadtnetz schon heute über ein über 1000 Kilometer langes unterirdisches Breitbandkabelnetz. Überhaupt solle man die Organisation der Anbindungen der Schulen idealerweise komplett an das der Innenverwaltung unterstellte ITDZ übertragen. »Ich bin überzeugt davon, dass die Bildungsverwaltung hierfür nicht die Kompetenzen hat«, sagt Remlinger.
Auch bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sieht man das grundsätzliche Problem bei Bildungssenatorin Scheeres. »Es scheitert doch an den einfachsten Dingen«, sagt Berlins GEW-Chefin Doreen Siebernik zu »nd«. »Die Mitte Januar angekündigten datensicheren Dienst-E-Mail-Adressen, die versprochenen mobilen Endgeräte für die Lehrkräfte - das sind alles so Brieftauben, die durch die Stadt fliegen, aber nirgends ankommen oder das Ziel nicht gefunden haben«, ärgert sich Siebernik. Entsprechend skeptisch ist sie, was die Auslieferung der Router betrifft. »Klar ist es gut, dass es diese Geräte nun geben soll. Aber ob die auch zeitnah ankommen, steht in den Sternen. Wir wollen den Tag also nicht vor dem Abend loben«, so die Gewerkschafterin.
Die Bildungsverwaltung hat für solche Schwarzmalerei wenig Verständnis. Die Auslieferung der Router werde zügig erfolgen, heißt es auf nd-Anfrage, an einzelnen Schulen seien erste Geräte bereits vor Ort. Die Eile ist berechtigt, hofft man doch, über die Routerlösung die Lehrkräfte zu entlasten, wenn am kommenden Mittwoch nach den Grundschülern auch die Klassenstufen 10 bis 13 in halbierter Stärke und im Wechselmodell in die Schulen zurückkehren. »Der eine Teil der Lerngruppe lernt dann in Präsenz, während der andere Teil der Lerngruppe an den Bildschirmen interaktiv am Unterricht teilnehmen kann«, so der Ansatz in der Theorie.
Softwareexperte Thomas Tursics dämpft indes allzu hohe Erwartungen. An das Streamen des Unterrichts aus dem Klassen- ins Kinderzimmer - denn darum geht es ja - sei zwar zuvor nicht einmal zu denken gewesen. »Aber der Router ist nur ein Baustein. Zusätzlich bräuchte es neben geeigneten Endgeräten auch zwei Kameras oder eine Bewegungskamera, dazu vernünftige Mikrofone, auch sollte jemand die von außen einkommenden Nachrichten verfolgen.« Trotzdem, sagt Tursics: »Der Router hilft auf jeden Fall.«
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