Das Gespür verloren

Bundestrainer Joachim Löw hört nach der EM auf - und hilft damit allen

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Zuletzt hat Joachim Löw beim Spitzenspiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund mal wieder live in der Münchner Arena gesehen, wie unterhaltsam der deutsche Fußball sein kann. Das 4:2 verfolgte er mit Mantel geschützt gegen die Kühle, auch die Maske saß ordnungsgemäß. Nun aber stehen einige Münder offen: Dass der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am Dienstag verkündete, der Bundestrainer beende seine Tätigkeit nach der Europameisterschaft in diesem Sommer, ist ein Paukenschlag. Angeblich bat der 61-Jährige selbst um die Verkürzung des bis 2022 datierten Vertrags.

»Ich gehe diesen Schritt ganz bewusst, voller Stolz und mit riesiger Dankbarkeit«, teilte Löw mit, dessen selbstbestimmter Abschied würdevoll wirkt. Weitere Hintergründe will »einer der größten Trainer im Weltfußball«, wie DFB-Präsident Fritz Keller lobte, am Donnerstag zusammen mit dem Verbandschef erläutern. Keller äußerte Respekt vor der Entscheidung. »Dass er uns frühzeitig über seine Entscheidung informiert hat, ist hoch anständig. Er lässt uns als DFB somit die nötige Zeit, mit Ruhe und Augenmaß seinen Nachfolger zu benennen.« Die beiden badischen Genussmenschen waren in der missglückten Krisenbewältigung nach dem Länderspieldebakel in Spanien noch heftig aneinandergeraten.

Löw teilte nun ohne jede Verbitterung mit, es sei eine Ehre gewesen, sich derart »für mein Land zu engagieren«. Er habe insgesamt 17 Jahre »mit den besten Fußballern des Landes arbeiten« dürfen. Und er bereitete dem Land als Bundestrainer viel Freude, irgendwann passte sein ästhetischer Anspruch perfekt zu einer begnadeten Generation. Dass es zwischendurch ab und an ruckelte, verschwieg der dienstälteste Nationalcoach der Welt nicht: »Mit ihnen verbinden mich große Triumphe und schmerzliche Niederlagen.« Alles gipfelte im magischen Moment mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien. Dem DFB sei er dankbar.

Tatsächlich hätte es der mitunter schwer durchschaubare Fußballlehrer ohne die von verschiedenen Präsidenten eingeräumten Freiheiten kaum so lange ausgehalten. Löw war mit seiner Weitsicht und Gelassenheit der Gegenentwurf in einer hyperaktiven Branche, die auf Vereinsebene nach einzelnen Ereignissen oft gnadenlose, übereilte Urteile fällt. Nicht viele Nationaltrainer hätten einen Fehler überlebt, wie Löw beim vercoachten EM-Halbfinale 2012, als er glaubte, gegen Italien die gesamte Statik seiner eingespielten Elf verändern zu müssen. Und dann ist da ja auch die WM 2018, als der Ballbesitzfußball seiner Mannschaft ungefähr so unpassend wirkte wie das Bild ihres Trainers vor einer Laterne in Sotschi. Es dauerte Wochen, bis Löw nach dem historischen Vorrundenaus endlich eine Analyse auftischte, bei der er seinen Ansatz als »fast schon arrogant geißelte«.

Löws Umfragewerte waren zuletzt auf einem Tiefpunkt - und deutlich schlechter als die der gefühlt ja genauso lange regierenden Kanzlerin Angela Merkel. Im November, bei der Lehrstunde von Sevilla, wirkte Löw fast schon apathisch. Aus dem 2004 von Jürgen Klinsmann als Assistent eingebundenen Fußballlehrer, der beim Sommermärchen 2006 die Taktik vorgab, schien zuletzt ein Würdenträger geworden zu sein, dem das Gespür abhanden kam. Vielleicht hat die Coronakrise diese Distanz einfach noch verstärkt.

Mit Löws Entschluss könnte nun allen geholfen sein. Der Weltmeistertrainer versicherte, für die bevorstehende EM »weiterhin den unbedingten Willen sowie große Energie und Ehrgeiz« zu verspüren. Aber: Die Gruppenspiele gegen Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal und Außenseiter Ungarn könnten herausfordernder kaum sein. Immerhin qualifizieren sich auch vier Gruppendritte fürs Achtelfinale. Keller siedelt die DFB-Auswahl im Halbfinale an, Löw hat dieses Ziel noch nicht formuliert.

Diskutiert wird ohnehin gerade etwas ganz anderes: Wer könnte den ewigen Jogi denn beerben? Der intern geschätzte U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz hat allenfalls Außenseiterchancen. Anbieten würde sich zuerst Löws ehemaliger Assistent Hansi Flick. Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff hat bereits gesagt, es wäre »verrückt«, den Erfolgstrainer des FC Bayern auszuschließen. Jürgen Klopp erteilte sofort eine Absage. »Jogi hat einen großartigen Job gemacht, er ist der beste Coach, den wir jemals hatten. Ich werde im oder nach diesem Sommer nicht als möglicher Bundestrainer zur Verfügung stehen«, stellte Liverpools Meistermacher klar.

Daher könnte alles auf einen anderen Schwaben hinauslaufen: Ralf Rangnick, derzeit ohne Job. Der Baumeister der Projekte bei der TSG Hoffenheim und RB Leipzig ist interessiert, würde das Jobprofil aber gerne viel umfassender interpretieren. Bei Nachwuchsarbeit, Trainerausbildung und Langzeitkonzepten würde der 62-Jährige mitreden wollen. Das sind Schnittstellen in Bierhoffs Bereich. Duldet er derlei Einmischung, die bestimmt nicht zum Schaden des deutschen Fußballs wäre? Rangnick ist jedenfalls keiner, der viele Kompromisse macht. Kraftproben mit der Liga würden unweigerlich kommen. Die Kardinalfrage: Leistet sich der Verband einen weiteren umkrempelnden Reformer wie einst Klinsmann? Wenn ja, würde wohl ein Anruf bei Rangnick genügen, um Löws Nachfolge zu klären.

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