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China rüstet sich
Regierung in Peking will viel Geld für ihre Armee lockermachen. Wirtschaft soll unabhängiger von Importen aus dem Westen werden
Fast 100 Meter ragt das Pekinger Militärmuseum in den smogverhangenen Himmel der chinesischen Hauptstadt, gesichert ist es wie ein Hochsicherheitsbereich: Einlass erhält nur, wer Metalldetektoren und Leibesvisitationen hinter sich bringt. Besucher werden zunächst von einer überlebensgroßen Mao-Statue aus weißem Marmor begrüßt, dahinter lassen sich von alten Kampfflugzeugen über Panzer bis hin zu Raketenwerfern unzählige historische Artefakte Chinas militärischer Macht begutachten. Die Botschaft, die aus den Ausstellungsräumen dringt, ist eindeutig: Nur dank der Volksbefreiungsarmee gibt es die Volksrepublik China, nur mit der Armee wird das Land in einer zunehmend feindlichen Welt überleben.
Nur wenige hundert Meter weiter, am Platz des himmlischen Friedens, entscheiden die Parlamentarier beim Nationalen Volkskongress, der am Donnerstag zu Ende ging, über den militärischen Kurs der nächsten Jahre. »Die aktuelle Situation unseres Landes ist instabil und unsicher«, sagte Staatschef Xi Jinping am Montag gegenüber hochrangigen Militärs. Die Streitkräfte müssten sich auf »Kampfbereitschaft« konzentrieren und »immer bereit sein, auf verschiedenste komplexe und schwierige Situationen zu antworten«, sagte er nach Angaben der Staatsmedien. Der hochrangigste General, Xu Qiliang, sprach gar davon, dass »China angesichts der Thukydides-Falle seine Kapazitäten steigern« müsse. Die Anspielung auf den alten griechischen Strategen besagt, dass der Aufstieg einer aufstrebenden Weltmacht unvermeidlich einen Krieg mit der etablierten Weltmacht auslöst - damals zwischen Athen und Sparta, heute zwischen China und den USA.
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Dementsprechend deutlich fällt auch die auf dem Volkskongress beschlossene Steigerung des Verteidigungsetats aus. Diese sollen im Jahresvergleich 2021 um immerhin 6,8 Prozent wachsen. Der Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte, man werde die Gelder dafür einsetzen, um gegenüber den USA aufzuholen. Verglichen mit Washington gibt Peking immer noch deutlich weniger für sein Militär aus. Doch die offiziellen Zahlen Chinas gelten nur als grobes Stimmungsbarometer, viele Investitionen tauchen in den Statistiken nicht auf, darunter für Forschungsfelder, die sowohl für militärische als auch zivile Zwecke dienen.
Um das Ausmaß der Aufrüstung Chinas realistisch einzuschätzen, behelfen sich Sicherheitskreise unter anderem mit Pentagon-Berichten. Diese zeichnen ein bedrohliches Szenario: So geht man in Washington davon aus, dass die Volksbefreiungsarmee ihr Nukleararsenal im laufenden Jahrzehnt verdoppeln wird. Im Dezember sprach der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Mark Milley, auf einem Symposium des »Wall Street Journal« davon, dass China sein Wirtschaftswachstum dazu nutzen werde, bis 2035 mit der US-Militärmacht gleichzuziehen und bis Mitte des Jahrhunderts einen Krieg gegen die US-Amerikaner gewinnen könnte.
Sind solche Szenarien alarmistisch? »Man kann zwar in Chinas Staatsführung die bösartigsten Dinge hineinprojizieren, doch ihre Fähigkeiten sind durchaus eingeschränkt«, sagt etwa Geoff Raby, von 2007 bis 2011 als australischer Botschafter in Peking, der nach wie vor über ein großes Netzwerk an Kontakten im Reich der Mitte verfügt. »Chinas Strategie basiert auf Schwäche, nicht auf Stärke. Pekings Politiker sind von einer existenziellen Unsicherheit getrieben, die sie konstant spüren«, sagt Raby. Das Militär sei vor allem damit beschäftigt, die 22 000 Kilometer an Landesgrenzen zu sichern und die territorialen Konflikte auf eigenem Boden in den Griff zu bekommen - sei es in Tibet, Xinjiang oder Hongkong.
Doch die offizielle Rhetorik wird wesentlich martialischer. Noch Deng Xiaoping, Chinas Wirtschaftsreformer der 80er Jahre, sprach davon, man solle »seine Stärke verbergen und seine Kraft nähren«. Nachfolger Hu Jintao propagierte die Maxime eines »friedlichen Aufstiegs«. Xi Jinping, mächtigster Führer seit Mao, hingegen setzt auf neues Selbstbewusstsein und offene Drohgebärden gegen Nachbarstaaten.
Am drastischsten lässt sich die globale Verschiebung der Militärmacht bei der chinesischen Marine beobachten. In weniger als zwei Dekaden hat sich die Streitkraft der Marine mehr als verdreifacht - und ist längst zur weltweit größten aufgestiegen. All dies ist nur möglich, weil China 40 Prozent des globalen Schiffbaus beheimatet. In den Werften wird laut Beobachtern im Dreischichtbetrieb an sieben Tagen pro Woche gearbeitet. Das sind Maßnahmen, die man sonst nur aus Kriegszeiten kennt.
Beim einwöchigen Volkskongress wollte Pekings Staatsführung den Eindruck nationaler Stärke und Einigkeit vermitteln. Dies wird auch am neuen Fünf-Jahres-Plan deutlich, der ebenfalls mit absoluter Mehrheit verabschiedet wurde. Im Grundsatz geht es darum, den wirtschaftlichen Aufstieg der Volksrepublik krisensicher gegen Sanktionen und geopolitische Konflikte zu machen. In bestimmten Kerntechnologien, darunter etwa Halbleiter, möchte Peking künftig autark werden und nicht weiter von Importen aus dem Westen abhängig sein. Das Wachstum soll zudem vor allem aus dem Binnenkonsum generiert werden, Investitionen aus dem Ausland eine geringere Rolle spielen.
China gilt als einzige große Volkswirtschaft, die im Krisenjahr 2020 expandiert ist. Denn seit Monaten bereits ist die Pandemie innerhalb der Landesgrenzen unter Kontrolle. Doch dieser Erfolg wird mit einer verstärkten Isolation bezahlt: Politisch hat die Staatsführung wegen der Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und der Intransparenz bei der Suche nach dem Ursprung des Coronavirus innerhalb der Staatengemeinschaft an Sympathie verloren. Gleichzeitig schottet sich China immer mehr vom Rest der Welt ab - politisch, wirtschaftlich, kulturell.
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