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Was unterm Mikroskop nicht zu sehen ist
Robert Wallace macht für Covid-19 Raubbau und Agrobusiness verantwortlich
Die Corona-Pandemie ist keine Naturkatastrophe. Wie andere Epidemien des 21. Jahrhunderts ist sie eine Folge des menschlichen Raubbaus an der Natur. Das ist die These, die Rob Wallace, US-amerikanischer Evolutionsbiologe und Epidemiologe, in seinem Buch aufstellt. Er arbeitete unter anderem als Berater für die Vereinten Nationen und die US-Gesundheitsbehörde. Heute entwickelt er Projekte für eine nicht-kapitalistische Landwirtschaft.
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Robert Wallace: Was Covid-19 mit der ökologischen Krise, dem Raubbau an der Natur und dem Agrobusiness zu tun hat.
A. d. Amerik. u. m. einem Vorwort v. Matthias Martin Becker. Papyrossa, 206 S., br., 20 €. •
Covid-19, verursacht durch Coronaviren, ist eine Zoonose. So heißen die Erkrankungen, die aus der Tierwelt auf den Menschen übertragen werden. Dazu gehören auch weitere Virenerkrankungen wie Sars, Mers und Ebola. Auch die Vogelgrippe, die sich immer wieder ausbreitet, springt seit 2013 vereinzelt auf den Menschen über, entwickelte sich bisher aber nicht zu einer menschlichen Epidemie oder gar zu einer Pandemie.
Wallace forscht seit vielen Jahren zur Entstehung und Bekämpfung viraler Epidemien, beschäftigt sich mit deren Ursachen, ihren ökologischen und ökonomischen Rahmenbedingungen. Herkömmliche Ansätze bei der Bekämpfung dieser Viren betrachtet der Epidemiologe als zu eng gefasst: Wer die Evolution der Virenerkrankungen verstehe, müsse auf mehr setzen als antivirale Mittel, etwa in Form von Impfstoffen. Wir brauchen, sagt er, eine Virologie, »die ihren Blick über das hinaus weitet, was unter dem Mikroskop zu erkennen ist«. Kurzum: Eine politische Virologie. Als Antreiber und Ursachen für die viralen Epidemien macht er unter anderem die Zerstörung von Regenwäldern und Feuchtgebieten aus, außerdem die industrielle Land- und Viehwirtschaft.
Virenerkrankungen habe es schon immer gegeben. Aber sie seien nicht so häufig zu einer Bedrohung für den Menschen geworden: In den tropischen Regenwäldern etwa finde eine virologische Selbstregulierung statt, die dortige Artenvielfalt funktioniere als Brandschneise gegen Virenerkrankungen. Eine weitere Faustregel: Je mehr Monokulturen in der Züchtung, desto weniger Selbstregulation, umso häufiger entstünden Epidemien.
So sei etwa die Geflügelzucht im kleinen Maßstab, die seit Jahrhunderten in Hinterhöfen praktiziert wird, noch nie Ausgangspunkt für Epidemien gewesen. Die industrielle Massentierhaltung hingegen schon, wie seine intensiven Forschungen zur Vogel- und Schweinegrippe nachweisen. Die dort auftretenden Viren seien ein »lebendiger industrieller Schadstoff, der sich fortwährend weiterentwickelt«.
Die ökonomischen Rahmenbedingungen machen diese Art der Produktion zu einem lukrativen Geschäft, denn die Fleischindustrie muss für die medizinischen Folgekosten nicht aufkommen. In kürzeren, gut verständlichen marxistischen Exkursen beschreibt Rob Wallace die industrielle Massentierhaltung als Auswuchs kapitalistischer Mehrwertproduktion. Profite werden gemacht, wenn entweder Löhne gesenkt werden oder die Produktion gesteigert wird - etwa durch schnell wachsende Hybridhühner. Eine Entwicklung, die in den USA ihren Anfang nahm: Seit den 1940er Jahren wachsen die Hühner dort dreimal so schnell und brauchen nur noch die Hälfte des Futters. Diese industrielle Geflügelzucht hat sich heute international durchgesetzt.
Am Beispiel der Vogelgrippe erklärt er auch die Auswirkungen der Naturzerstörung, die Zugvögel zu wichtigen Überträgern der Krankheit macht: Indem der Mensch Feuchtbiotope zerstört - unter anderem, um Land urbar zu machen oder für den ausufernden Städtebau - beraubt er die Zugvögel ihrer traditionellen Rastplätze. Die Folge: Die Wandervögel nutzen Agrarflächen, wo sie über ihre Ausscheidungen mit Nutztieren und Menschen in Kontakt kommen.
Neben der Vogelgrippe widmet sich das Buch ausführlicher auch dem Ebolavirus und Covid-19, dessen Ausbreitung vor allem durch die historisch beispiellose Vernetzung der Menschheit gefördert wurde. Wallace spricht sich dafür aus, Pandemien schon im Vorfeld zu bekämpfen - und nicht erst, wenn sie sich ausgebreitet haben. Biotechnische Lösungen hält Wallace dabei nicht für zielführend: Einige Forscher plädieren etwa für genetisch manipulierte Hühner, die gegen die Krankheiten resistent sind. Damit sei allerdings noch längst nicht geklärt, ob sie nicht dennoch weiter Überträger von Viren sein können, so der Epidemiologe.
Letztlich, daraus macht Wallace keinen Hehl, muss das vorherrschende Produktionsmodell angegangen werden, das sich weltweit durchgesetzt hat. Die Parallelen zu den Ursachen der Klimaerhitzung sind unverkennbar: Gelingt es nicht, den Raubbau an der Natur zu stoppen, wird der Klimawandel weitere Opfer fordern und die nächste Pandemie nicht lange auf sich warten lassen. Diese Erkenntnis ist das Anliegen des Autors, das er mit zahlreichen Beispielen aus seiner wissenschaftlichen Expertise untermauert, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Polemik gegen die kapitalistisch organisierte Weltwirtschaft. Eine erhellende Lektüre für alle, die gerne in Zusammenhängen denken und hinter die Kulissen blicken wollen.
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