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Willkommen am »Kotti«!

Im direkten Vergleich mit Vierteln in Hamburg, Stuttgart und Dresden fühlen sich Geflüchtete in Kreuzberg am wohlsten

  • Mascha Malburg
  • Lesedauer: 4 Min.

»In Kreuzberg fühle ich mich nicht wie ein Ausländer« - der Mann, der das sagt, fährt fast täglich von seiner Sammelunterkunft in Brandenburg zum »Kotti«: Um zu erleben, einer von vielen zu sein. In Kreuzberg gibt es bekannte Gerüche und Sprachen, aber noch wichtiger ist das Gefühl, in der Menge untergehen zu können - und endlich einmal nicht aufzufallen.

Viele der in den letzten Jahren nach Deutschland geflüchteten Menschen fühlen sich in Vierteln mit reicher Migrationsgeschichte am ehesten willkommen - das ist eines der zentralen Ergebnisse einer neuen Studie der Humboldt-Universität Berlin. Auf der Suche nach den Bedingungen des sozialen Zusammenhalts in Nachbarschaften, in denen nach 2015 Flüchtlingsheime entstanden sind, recherchierte man in vier grundverschiedenen Vierteln in Deutschland: In Hamburg-Eppendorf, Stuttgart-Untertürkheim, Dresden-Gorbitz und rund um das Kottbusser Tor befragten Forscher*innen über mehrere Jahre lokale Akteure, langjährige Anwohner*innen und zugezogene Geflüchtete.

Das Kreuzberger Quartier ging dabei als klarer Sieger in Sachen Willkommenskultur hervor: Hier fangen ein dichtes Netz an zivilgesellschaftlichen Strukturen, migrantische Organisationen und die Sprachvielfalt Geflüchtete auf und ermöglichen ihnen den Zugang zu unterstützender Infrastruktur, gesellschaftlicher Teilhabe und dem Gefühl von Zugehörigkeit.

Dass Geflüchtete sich in dieser Gegend schneller zurechtfinden, wurzelt oft in kleinen Alltagssituationen, erzählt die wissenschaftliche Mitarbeiterin Leoni Keskinkilic. So habe ihr eine geflüchtete Frau im Interview erzählt, sie habe beim Einkauf im Supermarkt eine ältere Dame in ihrer Muttersprache reden hören. Die Frauen kamen ins Gespräch, später begleitete die Dame die Geflüchtete zu einer Ärztin und übersetzte für sie. Solche Begegnungen seien in Dresden-Gorbitz oder in Hamburg-Eppendorf, wo vor 2015 kaum Menschen mit Migrationshintergrund lebten, fast unmöglich, berichtet Keskinkilic.

Schon vor 2015 habe die Migrationsgeschichte des jeweiligen Viertels eine entscheidende Rolle für die Stimmung in den Nachbarschaften gespielt, erklärt Projektleiterin Nihad El-Kayed: Während in Berlin-Kreuzberg nahezu unbemerkt eine Sammelunterkunft und Wohncontaineranlage entstanden sind, gab es in Eppendorf über Jahre anhaltenden Protest und Klagen gegen die neuen Nachbarn: Erst im Sommer 2020 konnten die ersten Geflüchteten hier eine Sammelunterkunft beziehen - allerdings ausschließlich schutzbedürftige Frauen und Mütter mit ihren Kindern. Auch in Dresden-Gorbitz brodelte es in der Plattenbausiedlung schon vor der Ankunft von Schutzsuchenden. Als sie dann in einzelne Wohnungen zogen, berichteten sie von bösen Blicken im Fahrstuhl und feindseligen Sprüchen auf den Fluren. Auch zu gewalttätigen Attacken kam es hier immer wieder - im Gegensatz zu Hamburg griff die Stadt Dresden aber nicht einmal provisorisch ein, es gab keinen Bürgerdialog und nur wenige öffentliche Möglichkeiten zur Auseinandersetzung. Dazu passt, dass im Rahmen der Studie der Humboldt-Universität fast die Hälfte der etablierten Bewohner*innen in Gorbitz Geflüchtete in ihrer Nachbarschaft ablehnten. In Kreuzberg waren es gerade einmal elf Prozent.

Das bedeutet nicht, dass es in Kreuzberg keine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema gab: Zivilgesellschaftliche Initiativen machten hier schon früh auf das Problem des angespannten Wohnungsmarkts aufmerksam: Geflüchtete müssen mit vielen anderen armen Kreuzbergern um wenige bezahlbare Wohnungen buhlen. Gegen die Gemeinschaftsunterkünfte aber gab es kaum Vorbehalte - im Gegenteil gründete sich ein enges Netzwerk an helfenden Nachbar*innen rund um die Einrichtungen. Das zog auch Menschen von weiter weg an: Wie im eingangs erwähnten Beispiel kommen sogar Geflüchtete aus Brandenburg an den »Kotti«, um diese Unterstützung zu nutzen, berichtet Leoni Keskinkilic. Aber langfristig wohnen können sie hier nicht: Wie in vielen postmigrantischen Vierteln entdecken auch am »Kotti« immer mehr wohlhabende Menschen die Vorteile eines so vielfältigen Kiezes - und sorgen nebenbei dafür, dass Migrant*innen hier keinen Platz mehr finden. Leoni Keskinkilic sprach mit geflüchteten Familien, die bis zu 10 000 Euro für einen informellen Makler zusammenkratzen, um überhaupt die Möglichkeit zu bekommen, in der inzwischen vertrauten Umgebung ein Zuhause zu finden.

Die Nachbarschaftsinitiative »Kotti & Co« kennt die Situation seit Jahren und hat nach den Studienergebnissen Handlungsempfehlungen formuliert: »Die Politik sollte sozialen Wohnungsbau besonders in postmigrantischen Vierteln langfristig schützen«, forderte die Sprecherin der Initiative. Auch Antirassismustrainings in öffentlichen Einrichtungen seien wichtig, und zwar in allen Städten, so »Kotti & Co«. Selbst am Kottbusser Tor erlebten die Nachbar*innen, die seit Jahrzehnten hier wohnen, Diskriminierung – ob bei Polizeikontrollen am U-Bahnhof, in der Schule oder auf dem Amt. Die politische Teilhabe der Geflüchteten müsste durch Rechte garantiert werden und könnte nicht durch zivilgesellschaftliches Engagement allein gestärkt werden, betonte die Sprecherin der Initiative: Bestes Beispiel sei die aktuelle Initiative zum Volksbegehren »DW enteignen«, bei dem viele betroffene Mieter*innen nicht abstimmen könnten, da sie keine deutschen Pässe besitzen.

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