Wackelige Beweise für Brandstiftung

Mehrere Afghanen wurden in Griechenland wegen des Feuers in Moria verurteilt. Das öffentliche Interesse ist gering

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 4 Min.

Verletzte und Tote hatte es glücklicherweise nicht gegeben bei dem Brand vor einem halben Jahr in der Hauptanlage des Flüchtlingslagers auf der griechischen Insel Lesbos. Vor einer Katastrophe war allerdings seit langem gewarnt worden: Zuletzt lebten in dem Lager, das für 2800 Bewohner ausgelegt war, unter unmenschlichen und widrigsten hygienischen Bedingungen etwa 12 600 Menschen. Spätestens mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und den über die Insassen verhängten Quarantänen wurde Moria zu einer tickenden »Zeitbombe für die Gesundheit«, wie es Kostas Moutzouris, Gouverneur der Region Nordägäis, im Herbst 2020 formulierte.

Direkt nachdem das Riesenlager niedergebrannt war, wurden sechs Tatverdächtige festgenommen. Ihnen wurde die Gründung einer kriminellen Organisation, Brandstiftung sowie illegaler Waffenbesitz vorgeworfen. Zwei Jugendliche - zum Zeitpunkt des Brandes 17 Jahre alt - wurden nun wegen Brandstiftung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Über die Anklage gegen die vier anderen tatverdächtigen Volljährigen - drei von ihnen kommen ebenfalls aus Afghanistan - wird in einem getrennten Prozess verhandelt. Ihre Anwälte hatten Dokumente vorgelegt, die bezeugen sollen, dass sie in der Nacht des Brandes ebenfalls noch nicht volljährig waren. Doch die Bescheinigungen wurden von der Justiz nicht akzeptiert.

Während des Prozesses in der vergangenen Woche behaupteten die Angeklagten ihre Unschuld: In der fraglichen Nacht hätten sie sich an anderen Orten aufgehalten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit wurden 17 Zeugen der Staatsanwaltschaft und zwei Zeugen der Verteidigung gehört. Die Aussage eines Kronzeugen wurde verlesen: Der 42-jährige Afghane beschuldigte die fünf afghanischen Angeklagten, das Feuer in Moria gelegt zu haben. Laut Informationen des unabhängigen griechischen Nachrichtenportals »The Press Project« wurde der mehrfache Familienvater nach seiner Aussage als politischer Flüchtling anerkannt und befindet sich an einem unbekannten Ort. Die Anwältin Vicky Angelidou, die gegen das Urteil Berufung einlegte, erklärte gegenüber dem TV-Sender ERT Aegean: »Dem Zeugnis des Mannes fehlt es an Glaubwürdigkeit, weil er in Moria der Anführer einer rivalisierenden ethnischen Gruppe, der Paschtunen, war.«

Die fünf afghanischen Tatverdächtigen gehören der Ethnie der Hasara an, wobei mutmaßliche Spannungen zwischen den Gruppen vor Gericht nicht näher thematisiert wurden. Das ausschließliche Vorlesen der Aussage des Kronzeugen ohne die Möglichkeit der Zeugenbefragung widerspricht nach Auffassung des Legal Centre Lesvos (AMKE) sowohl dem griechischen Recht als auch der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die NGO, die Migranten auf Lesbos Rechtshilfe bietet, kritisiert auch das von der Anklage herangezogene Videomaterial: Darauf sei ein mutmaßlicher Täter von hinten, nicht aber sein Gesicht zu erkennen. Ein Polizist will den jungen Mann anhand von Körperbau und Kleidung wiedererkannt haben. Kleidung dieser Art war allerdings massenhaft an die Flüchtlinge verteilt worden. Die Kritik am Prozess betrifft nicht zuletzt den gewählten Zeitpunkt des Prozesses: Sechs Monate nach der Anklage müssen Minderjährige aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Daher seien kurz vor Ablauf dieser Frist Zeugen der Verteidigung nicht mehr angehört worden, beklagt AMKE. Doch: »Obwohl wir vom Ergebnis enttäuscht sind, hätte es für diese beiden jungen Männer viel schlimmer kommen können«, resümiert die NGO. Bei Schuldsprüchen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Waffenbesitzes hätten ihnen 15 Jahre Haft gedroht.

Der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis wie auch der Minister für Bürgerschutz Michalis Chrysochoidis hatten schon im September die sechs Tatverdächtigen als die Schuldigen an der Brandstiftung in Moria präsentiert. In den Medien kursierten Meldungen über den Inhalt des besagten Videos, die die Unschuldsvermutung außer Kraft setzten.

Dabei sind frappierende Ähnlichkeiten zur Berichterstattung über die zunächst friedlichen Proteste gegen Polizeigewalt im Athener Stadtteil Nea Smyrni zu erkennen: Bis auf die Zeitung »Efsyn« meldeten die griechischen Medien in der vergangenen Woche unisono, die Bewohner seien auf eine Gruppe von Polizisten losgegangen. Bis Bilder publik wurden, die zeigen, wie Polizisten zuvor auf einen jungen Mann einprügeln, der sie wegen eines gegen ihn verhängten Bußgelds lediglich ansprach. Mit den landesweiten, teils gewalttätigen Demonstrationen gegen die Bildungsreform der konservativen Regierung unter Premierminister Kyriakos Mitsotakis ist die griechische Öffentlichkeit derzeit stärker befasst als mit den Migranten, die auf Lesbos festsitzen.

Sei es wegen Corona, des EU-Türkei-Deals oder immer wieder gemeldeter illegaler Pushbacks von Schutzsuchenden: Es erreichen deutlich weniger Neuankömmlinge die ägäischen Inseln. Waren es laut der Uno 2016 noch etwa 175 000, kamen im vergangenen Jahr weniger als 10 000. Tragischerweise dürften die beiden nun in Lesbos verurteilten Minderjährigen im Jugendgefängnis Avlona bei Athen bessere Lebensbedingungen vorfinden als im Moria-Nachfolgelager auf Lesbos, Kara Tepe. In Avlona sind etwa 300 junge Männer inhaftiert. Die Einrichtung machte wegen ihres Online-Ausbildungsprogramms für Straftäter positive Schlagzeilen.

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