Gute Familien, böse Familien

Polizei veröffentlicht Lagebericht zu »Clankriminalität« - und erntet Rassismusvorwürfe

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 3 Min.

Just am internationalen Tag gegen Polizeigewalt, an dem in Berlin zahlreiche Initiativen rassistische Polizeikontrollen kritisieren, veröffentlicht das Berliner Landeskriminalamt den »Lagebericht Clankriminalität 2020«. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Zivilgesellschaftliche Initiativen sowie die Linkspartei kritisieren das Vorgehen der Polizei gegen vermeintliche »Clankriminelle« seit Längerem als strukturell rassistisch.

So ist bereits die Definition von »Clankriminalität«, die im Lagebericht 2020 als »die Begehung von Straftaten durch Angehörige ethnisch abgeschotteter Strukturen« beschrieben wird, nicht unproblematisch. »Um als ›clankriminell‹ zu gelten, reicht es, dass die Polizei jemanden, der eine Straftat begeht und einen arabischen Hintergrund hat, als ›ethnisch abgeschottet‹ und ›ablehnend gegenüber der deutschen Rechtsordnung‹ einstuft - was offensichtlich willkürlich ist und nichts mit rechtsstaatlichen Methoden zu tun hat«, kritisiert Jorinde Schulz von der Initiative »Kein Generalverdacht«. So werde aus einem Mann mit arabischer Migrationsgeschichte, der das Tempolimit überschreitet, plötzlich ein gefährlicher »Clankrimineller«.

Lagebericht »Clankriminalität« 2020

Im Jahr 2020 hat die Polizei insgesamt 240 Einsätze zur Bekämpfung von sogenannter Clankriminalität durchgeführt.

Dabei wurden 525 Objekte kontrolliert, davon 102 Shisha-Bars, 27 Wettbüros/Spielstätten, 9 »bordellartige Betriebe«, 6 Kfz-Gewerbe, 127 Barber-Shops, 159 Café/ Bars und 95 sonstige Objekte. 85 Objekte wurden im Zuge dessen geschlossen.

Fast 39 000 Einsatzkräftestunden haben Polizist*innen im Rahmen der Einsätze geleistet.

Dabei wurden 1013 Straftaten durch 291 Tatverdächtige registriert. Insgesamt werden 388 Personen der »Clankriminalität« zugeordnet.

Die Schwerpunkte lagen im Bereich der Verkehrsstraftaten (139), der Betäubungsmittelkriminalität (130), der Gewalt- (118) und Eigentumskriminalität (100).

1091 Strafanzeigen und 5631 Ordnungswidrigkeitenanzeigen wurden erstellt, davon 5114 Verkehrsordnungswidrigkeiten und 176 Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz.

Wie die Polizei zu dieser Einschätzung kommt, ist unklar, zumal 45,4 Prozent der im Lagebericht genannten Täter die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Hier von »ethnisch abgeschotteten arabischstämmigen Strukturen« zu sprechen ist für die Initiative eine »Ethnisierung von Kriminalität«. »Wir wissen alle, dass mit ›ethnischer Abschottung‹ nicht Menschen, die sich in reichen, weißen Villenquartieren im Westen Berlins verschanzen, gemeint sind, sondern rassistische Stereotype bedient werden«, so die Neuköllner Linke-Politikerin Schulz. »Dass diese in Berlin als Grundlage polizeilicher Arbeit gelten, entlarvt den abgrundtiefen strukturellen Rassismus staatlicher Behörden.«

Fragezeichen werfen auch die im Lagebild enthaltenen Straftaten auf. Was genau Verkehrsdelikte oder Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz mit Organisierter Kriminalität zu tun haben, ist unklar. »Es handelt sich hierbei hauptsächlich um Kleinkriminalität und Ordnungswidrigkeiten«, sagt der Linke-Innenpolitiker Niklas Schrader zu »nd«. Die jedoch mit großem Aufwand ermittelt wurden: 240 Einsätze wurden im vergangenen Jahr zur Bekämpfung von sogenannter Clankriminalität durchgeführt, dabei wurden mehr als 500 Objekte kontrolliert, rund ein Fünftel davon Shisha-Bars. »Das ist ein Riesenaufwand, bei dem relativ wenig rumkommt«, kritisiert Schrader.

Mohammed Chahrour von »Kein Generalverdacht« sieht in den Kontrollen von migrantischen Räumen wie Shisha-Bars eine rassistische »Stigmatisierung ethnischer Minderheiten«. Wenn, wie bei den Razzien in Neukölln, ein großes Polizeiaufgebot, oft schwer bewaffnet, in die Bars eindringe, würden die Besucher*innen als Schwerverbrecher kriminalisiert, obwohl außer Bagatellen wie einer Überschreitung des Kohlenmonoxidwertes oder unverzolltem Shisha-Tabak meist kaum etwas gefunden werde. »Das kann dazu führen, dass Rechte das als Feindbild nehmen, um diese Orte und Menschen zu attackieren«, warnt Chahrour mit Blick auf den rechtsextremistischen Anschlag auf eine Shisha-Bar in Hanau vor einem Jahr.

Auch für Niklas Schrader ist das verstärkte Vorgehen gegen »Clankriminalität« seit November 2018 rassistisch konnotiert. »Das fördert das Feindbild von arabischen Einwanderern, die mit ihren Großfamilien quasi kurz vor der Übernahme der Weltherrschaft stehen.« Dabei mache die sogenannte Clankriminalität nur einen relativ geringen Anteil an der Gesamtkriminalität und auch der Organisierten Kriminalität aus. Statt diese sinnvoll zu bekämpfen, würden Menschen stigmatisiert, die nichts mit Organisierter Kriminalität zu tun haben. »Sinnvoller wäre es, sich auf kriminelle Netzwerke zu konzentrieren - ohne Ansehen von Familiennamen oder Ethnien, das ist nämlich nicht deckungsgleich.«

Innensenator Andreas Geisel (SPD) feiert den Lagebericht dennoch als großen Erfolg. »Polizei und Justiz machen sehr deutlich, dass unsere Stadt nicht den Clans gehört. In Berlin gilt gleiches Recht für alle. Und das setzen wir entschlossen durch.« Geisel betont, dass sich die Ermittlungen dabei grundsätzlich gegen einzelne Straftäter oder Gruppierungen richten würden. »Wir nehmen niemanden in Sippenhaft, nur weil er oder sie Mitglied einer bestimmten Familie ist. Wir gehen gegen Kriminelle vor, nicht gegen Familien.«

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