Ein kleines Rädchen
Wenn das Ästhetische über dem Politischen liegt: Eine Biografie über Friedo Lampe
Im November 1933, die Nazis sind schon ein Dreivierteljahr lang an der Macht, erscheint im Rowohlt-Verlag ein Roman, der bemerkenswert offene Einblicke in die großstädtische homosexuelle Subkultur enthält. In einer Szene wird von einer Begegnung im öffentlichen Pissoir erzählt: »Da fällt sein Mantel runter. Ich guck nur so mit meinen Augen, ach, das ist mal wieder so einer von den Seltenen, alles prima, ganz vollkommen, es tut mir gleich hier innen alles so weh, dreht sich um und um, brennt so, sticht. Ganz jung ist er und schön.«
Der Autor Friedo Lampe debütiert mit »Am Rande der Nacht« als Romancier. Erstaunlicherweise hofft er zu dieser Zeit noch, dass für derlei Schilderungen im gleichgeschalteten Kulturbetrieb nach wie vor Platz sein würde. Im von avantgardistischen Futuristen mitgeprägten Kulturleben des faschistischen Italien mochte das vielleicht hin und wieder nochmöglich sein, im biederen Blut-und-Boden-Klima des »Dritten Reiches« war es bloßes Wunschdenken. Dennoch bemühte sich der zu dieser Zeit als Bibliothekar in Hamburg arbeitende Schriftsteller nach Kräften darum, das Verbot des Prosawerks noch zu verhindern. An den Leiter der Deutschen Zentralstelle für volkstümliches Büchereiwesen schreibt er, den Roman verfasst zu haben, »weil mich diese Bilder, Gestalten und Stimmungen bedrängten. Und bedenkt man denn gar nicht, dass es im Augenblick mutiger ist sich zu dieser Welt zu bekennen als - na ja.« Mit der Hitlerjugend komme er zudem bestens aus.
Sein Adressat, der überzeugte Nazi Wolfgang Herrmann zeigt sich wenig beeindruckt und weist Lampe in seinem herablassend freundlich verfassten Antwortschreiben darauf hin, dass er selbst und alle Leute, die das Buch in der Behörde gelesen hätten, entsetzt gewesen seien. Bei ihrer nächsten Begegnung in Berlin sollten sie lieber gemeinsam den Plan von Lampes nächstem Roman besprechen, der dann »ein deftiges SA-Buch abgeben« solle.
Das Schicksal seines Debüts vermochte Lampe nicht mehr abzuwenden. Nicht zuletzt wegen der darin geschilderten Liebe einer Deutschen zu einem Schwarzen wurde es am 16. Dezember 1933 von der Geheimen Staatspolizei beschlagnahmt und schließlich eingestampft. Wenig günstig dürfte sich in diesem Zusammenhang der Umstand ausgewirkt haben, dass der Roman ausgerechnet von dem prominenten jüdischen Theater-, Literatur- und Filmkritiker Kurt Pinthus im Berliner »8 Uhr-Abendblatt« geradezu euphorisch gefeiert wurde. Er lobt das Buch als Beispiel eines modernen Romans, dessen »Simultantechnik« an James Joyces »Ulysses« und John Dos Passos’ »Manhattan Transfer« geschult sei.
Als Schriftsteller, so zeigt Johann-Günther König in »Friedo Lampe. Eine Biographie«, war dem 1899 als Sohn eines Prokuristen in einen Bremer Bürgerhaushalt hineingeborenen Autor beim großen Publikum nun kein Erfolg mehr beschieden. Sein zweiter Roman, »Septembergewitter«, wurde Anfang der 40er Jahre allerdings nicht wegen eines weiteren Verstoßes gegen die Sittlichkeit eingestampft, sondern weil er ein Ladenhüter blieb. Sehr geschätzt wurde Lampes Werk hingegen von einer Reihe von Kollegen, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland zu den Erneuerern der Erzählkunst zählten: Alfred Andersch, Hans Bender und Wolfgang Koeppen. Letzterer bescheinigte Lampe 1957, »ein wichtiges, vollendetes, nobles, noch unausgeschöpftes Oeuvre« vorgelegt zu haben, »voll von Lesefreuden, ein Lehrbuch für junge Schriftsteller«.
Als Lehrmeister und ernst zu nehmender Gesprächspartner taugte Lampe vor allem in ästhetischen und literarischen, weniger in politischen Fragen. Den an aktuellen Zeitfragen so gut wie gar nicht interessierten Patriziersohn, der mit Kinder- und Hausmädchen sowie allen weiteren Privilegien seiner Klasse aufgewachsen war, zeichnete eine unterordnungsbereite konservative Gesinnung aus, die es ihm erleichterte, als kleines Rädchen im Getriebe des faschistischen Staates mitzuwirken. Zu seinen Aufgaben gehörte es, in Ungnade gefallene Literatur aus den Beständen der öffentlichen Büchereien auszusortieren - darunter ironischerweise sein eigenes Werk. Eine Zeit lang hoffte er sogar, Direktor der Bremer Volksbibliothek zu werden, die scharf auf NS-Linie gebracht wurde. Dass Lampe von rassistischen Vorurteilen keineswegs frei war, lässt sich anhand einer Randnotiz vermuten, die er unter dem Eindruck der Zerstörung Hamburgs durch alliierte Bomberangriffe einem Brief hinzufügte: »Hamburg steht nicht mehr, ist radikal weg! In den Flugzeugen sitzen N****!« (Der diskriminierende Begriff ist im Original ausgeschrieben, Anm. d. Red.)
Was sein Privatleben betraf, versuchte Lampe, der sich als Homosexueller vor Denunziationen fürchten musste und um seine berufliche Existenz bangte, möglichst unauffällig zu agieren. Noch vor dem Krieg hatte der allseits als Literaturkenner geschätzte Autor eine Stelle als Lektor im Rowohlt-Verlag angetreten. Zu den Romanen, die er dort betreute, gehörten auch Hans Falladas »Wolf unter Wölfen« sowie »Der eiserne Gustav«. Im Landhaus des so viel erfolgreicheren Kollegen in Carwitz war Lampe immer wieder ein gern gesehener Gast. Später arbeitete er als Lektor auch für den H.-Goverts-Verlag und ab Mitte 1940 bis zu seinem frühen Tod für den Verlag Karl Heinz Henssel.
Als er sich am 2. Mai 1945 mit dem Rucksack und zu Fuß von Berlin aus ins benachbarte Kleinmachnow aufmacht, wird er unterwegs von zwei Rotarmisten nach seinen Papieren gefragt. Passanten beobachten, wie die Soldaten ihn nach einem längeren Wortwechsel auf ein Grundstück neben der Straße führen und ihn dort erschießen. Es wird vermutet, dass sie ihn für einen untergetauchten SS-Angehörigen hielten.
Johann-Günther König: Friedo Lampe. Eine Biographie. Wallstein, 390 S., geb., 28 €.
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