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Keine Mobilität in puncto Haustarif
Der Volkswagen-Konzern hat auch 2020 einen Milliardengewinn eingefahren
VW-Aktionäre können sich zufrieden zurücklehnen und auf die Überweisung der Dividende für 2020 freuen: Je Stammaktie schüttet das Unternehmen 4,80 Euro, je Vorzugspapier 4,86 Euro aus, genau so viel wie im vergangenen Jahr für 2019. Gar nicht zufrieden dagegen sind die rund 120 000 westdeutschen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem Verhalten »ihres« Autobauers, und zurücklehnen werden sie sich auch nicht. Denn Deutschlands größter Autobauer sperrt sich gegen ihre Forderungen, obwohl ihr Einsatz ihm auch 2020 einen beachtlichen Profit bescherte. Rund 9,7 neun Milliarden Euro Gewinn bei knapp 223 Milliarden Euro Umsatz erzielte das Unternehmen, das seine Zahlen für das vergangene Jahr am Dienstag auf einer Pressekonferenz präsentierte.
Trotz Corona hat VW also noch ordentlich Gewinn gemacht, auch wenn er nicht so üppig wie noch 2019 ausgefallen ist. In jenem Jahr hatte die weltweit gut 670 000 Beschäftigte zählende Autoschmiede bei fast 253 Milliarden Euro Umsatz 14 Milliarden Euro Gewinn erzielt. Trotz »andauernder Herausforderungen« durch die Corona-Pandemie habe der Konzern 2020 erneut »seine Robustheit bewiesen«, sagte Finanzvorstand Frank Witte vor den Medien.
Doch ein wenig nach Gejammer klang es schon, als VW-Personalleiter Arne Meiswinkel unlängst auf die Coronakrise sowie Strukturbrüche in der Autobranche verwies und »höchste Kostendisziplin« einforderte. Ein Argument, mit dem er als Verhandlungsführer der Konzernseite den Forderungen der Belegschaft entgegentritt. Sie will ein Lohnplus von vier Prozent und im Haustarif mehr Freizeit ebenso verankert sehen sowie die Garantie, dass Volkswagen wie bisher jährlich 1400 Ausbildungsplätze bereit stellt.
Drei Verhandlungsrunden zwischen Konzern, Betriebsrat und der IG Metall gab es bereits, ohne dass sich eine Einigung abzeichnete. »Volkswagen ist nicht auf uns zugekommen und versucht, die Corona-Situation schamlos auszunutzen«, rügte der Verhandlungsführer der IG Metall, Thorsten Gröger, das bisherige Verhalten des Konzerns. Und Bernd Osterloh, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates, bezeichnete das Erscheinen der Arbeitgeber mit »leeren Händen« zu den Verhandlungen als »nur noch peinlich«.
Dabei ähnelt das Verhalten des Konzerns dem Vorgehen der Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie, die in den derzeit parallel laufenden Tarifverhandlungen auch mauern und erst ab 2022 Lohnerhöhungen anbieten. Mit 120 000 Angestellten allein in Westdeutschland ist Volkswagen in der Tariflandschaft jedoch kein kleiner Player und ist nicht Teil des Flächentarifvertrages, sondern hat einen eigenen Haustarifvertrag.
Inzwischen haben die Beschäftigten an verschiedenen Standorten mit Warnstreiks auf ihre Forderungen aufmerksam gemacht, so etwa in Salzgitter, im ostfriesischen Emden und am Werk Braunschweig. Der Konzern hat an die Gewerkschaft appelliert, wieder in die Verhandlungen einzusteigen, die Arbeitnehmerseite will jedoch erst ein konkretes Angebot des Unternehmens sehen. »Solide« muss es sein, betont Gewerkschafter Gröger. Ob bereits ein Termin für eine vierte Verhandlungsrunde angedacht ist, war nicht zu erfahren.
Unabhängig vom Hickhack um den Haustarif haben Unternehmen und Betriebsrat sich vor kurzem auf ein Eckpunktepapier geeinigt, dass im Endeffekt den Abbau von womöglich 5000 Stellen zur Folge haben könnte. Erreicht werden soll dieses Ziel vor allem dadurch, dass künftig auch Mitarbeiter*innen des Geburtsjahrgangs 1964 in Altersteilzeit gehen können. Auch an neue Angebote für den vorzeitigen Ruhestand ist gedacht, wobei Volkswagen die »Rentenlücke« ausgleicht. Betriebsbedingte Kündigungen sollen laut Vereinbarung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite bis 2029 ausgeschlossen sein, heißt es.
Diese Einigung stehe in keinem unmittelbaren Verhältnis zur laufenden Tarifrunde und sei davon losgelöst zu betrachten, erklärte Jan-Niklas Hartge vom IG-Metall-Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt gegenüber »nd« auf Anfrage. Altersteilzeit sei ja ein tariflich geregeltes Instrument. »Für uns ist wichtig, dass unsere Kolleginnen und Kollegen früher zu guten Bedingungen aus dem Arbeitsleben ausscheiden und so ihr Leben dann bei guter Gesundheit genießen können«, betont der Gewerkschafter.
Sorgen um seine Altersabsicherung braucht sich Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, wohl kaum zu machen: Die Jahresvergütung des 62-Jährigen summierte sich 2020 laut Geschäftsbericht auf rund 7,7 Millionen Euro. Diess sieht für den Konzern, der ihm diese üppige Entlohnung zahlt, optimistisch in die Zukunft. Auf dem Weg zum »software-getriebenen Mobilitätskonzern« und mit Blick auf die zunehmende Elektrifizierung des Autoverkehrs werde das Unternehmen auch künftig ein »Champion« sein, prognostizierte der Manager auf der Bilanzpressekonferenz. Weltgrößter Autobauer ist VW indes nicht mehr; 2020 musste der Konzern dieses Prädikat abgeben - an Toyota.
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