Nicht einfach tödliche Medizin kaufen
sterbehilfe: verfassungsgericht weist beschwerde von eheleuten ab
Die Richter wiesen am 5. Februar 2021 eine Verfassungsbeschwerde (Az. 1 BvR 1837/19) als unzulässig zurück, mit der ein Ehepaar für sich das Recht erstreiten wollte, ein tödliches Arzneimittel kaufen zu dürfen. Das Gericht verwies das Ehepaar auf den Rechtsweg bei Fachgerichten und erklärte rund ein Jahr nach seiner Entscheidung zum Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, dass es mit einem Urteil in dieser Sache politische Entscheidungen nicht vorwegnehmen wolle.
Am 26. Februar 2020 hatte das Verfassungsgericht (Az. 2 BvR 2347/15 und weitere) geurteilt, dass Menschen ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben haben. Der zweite Senat erklärte das strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig. Damit wurde eine 2015 vom Bundestag beschlossene Regelung gekippt. Seit Ende Januar 2021 liegen zwei Gesetzentwürfe von Bundestagsabgeordneten zur Neuregelung vor, die jeweils in unterschiedlichem Maße eine Beratungspflicht vorsehen, bevor Sterbewilligen Hilfe beim Suizid geleistet werden darf. Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Zusammenhang mit der Verfassungsbeschwerde, man wolle den »politischen Gestaltungsspielraum bei der Erarbeitung eines übergreifenden legislativen Schutzkonzepts« nicht einschränken.
Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 zur Suizidassistenz hat die Sterbehilfeorganisation des früheren Hamburger Justizsenators Roger Kusch in 103 Fällen Hilfe zur Selbsttötung geleistet. In 144 Fällen habe der Verein der Suizidassistenz zugestimmt, teilte der Verein »Sterbehilfe« mit Sitz in Zürich und Hamburg mit. Die Mitgliederzahl der Organisation hat sich nach eigenen Angaben seit dem Urteil auf 705 verdoppelt.
Der Verein, dem Kusch als Präsident vorsteht, bietet Suizidassistenz nur für Mitglieder an. Der Beitrag beträgt nach Angaben des Vereins 2000 Euro für eine sogenannte Lebensmitgliedschaft. Bei Inanspruchnahme der Suizidassistenz ist den Angaben zufolge darüber hinaus ein Zusatzbeitrag zwischen 2000 und 7000 Euro fällig. epd/nd
In der Sache befand das Bundesverfassungsgericht, zwar hätten die Eheleute ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben, müssten aber hierfür aktiv nach helfenden Menschen suchen, sich um eine ärztliche Verschreibung bemühen oder auf anderem Weg ihr Recht konkret verfolgen. Seien sie der Auffassung, dass dies aussichtslos ist, müssten sie zunächst Rechtsschutz bei den Fachgerichten suchen.
Die 1937 und 1944 geborenen Eheleute sind zwar nicht schwer krank, machten aber nach eigenen Angaben geltend, dass sie das Nachlassen ihrer geistigen und körperlichen Kräfte merken. Um sich und ihren Angehörigen einen jahrelangen Verfall und qualvollen Tod zu ersparen, beantragten sie, beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital kaufen zu können. Sie wollten selbstbestimmt gemeinsam sterben können.
Das Bundesverwaltungsgericht (Az. 3 C 6.17) in Leipzig hatte dies bereits im Mai 2019 abgelehnt. Bürger hätten nach den gesetzlichen Bestimmungen keinen generellen Anspruch auf Zugang zu Medikamenten für eine schmerzlose Selbsttötung, entschieden die Leipziger Richter. Ausnahmen könne es allenfalls bei schweren unheilbaren Erkrankungen geben. Nach dem späteren Urteil des Verfassungsgerichts jedoch argumentierte das Ehepaar, nun müssten sie die tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital auch selbst kaufen können. Denn faktisch sei es in Deutschland ausgeschlossen, dass sie einen verschreibungswilligen Arzt oder Suizidhelfer finden.
Die Verfassungsrichter entschieden, dass zumindest unter strafrechtlichem Blickwinkel solche Suizidbeihilfe-Leistungen durchaus nunmehr angeboten werden können. Es sei den Klägern daher zuzumuten, zunächst selbst aktiv nach suizidhilfebereiten Personen im Inland zu suchen und sich um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs zu bemühen oder dass sie »auf anderem geeigneten Weg ihr anerkanntes Recht konkret« verfolgen.
Wenn sich das alles als aussichtslos erweist, müssten sie sich zunächst an die Fachgerichte wenden. Denn nur so könne geklärt werden, »welche konkreten Gestaltungsmöglichkeiten und tatsächlichen Räume die nunmehr geltende Rechtslage bietet«. epd/nd
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