Im Namen des Schwiegersohns

Warum der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen Zentralbankchef feuerte

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Federstrich vom vergangenen Wochenende hält noch immer den Finanz- und Wirtschaftssektor der Türkei in Atem. Präsident Recep Tayyip Erdogan unterzeichnete nicht nur das Dekret zum Austritt seines Landes aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen, sondern auch gleich noch ein zweites zur Absetzung von Zentralbankpräsident Naci Agbal. Dieser hatte es wenige Tage zuvor gewagt, den Leitzins von 17 auf 19 Prozent zu erhöhen, um der galoppierenden Inflation Einhalt zu gebieten. Doch mit der Zinserhöhung war Agbal der Zorn des Präsidenten gewiss.

Am Finanzmarkt war die Zinserhöhung gut angekommen, die überraschende Absetzung ihres Urhebers hingegen nicht. Die türkische Lira wertete gegenüber dem US-Dollar zeitweise um 16 Prozent ab, am Montagmorgen musste die Börse in Istanbul wegen vieler Verkäufe zwei Mal vorübergehend geschlossen werden. Die Devisenkurse sind in der Türkei nichts, was nur ein paar Banken und Händler interessiert. Ein Absinken der eigenen Währung ist zwar gut für den Export und den Tourismus, aber viele Unternehmen sind in Fremdwährung verschuldet und bekommen dann Schwierigkeiten bei der Bedienung der Kredite. Außerdem führen schwankende Kurse zu höheren Risikoaufschlägen für türkische Unternehmen. Auch werden Mieten und Hypotheken wegen der instabilen Lira oft in Dollar abgemacht. Und bei den Preisen für Gas und Benzin spüren die Leute die Wechselkurse sofort. Mittelfristig hängt also so ziemlich viel am Außenwert der Währung.

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Die Inflationsrate ist bereits sehr hoch; im Februar stieg sie auf über 15 Prozent. Vor allem Nahrungsmittel werden immer teurer, ihre Preise stiegen im Schnitt um 18,4 Prozent. Drastische Preiserhöhungen gab es etwa bei Grundnahrungsmitteln wie Eiern, Brot, Sonnenblumenöl und Käse.

In der Ökonomie ist eigentlich unangefochtene Lehrmeinung, dass der Inflation vor allem mit höheren Zinsen begegnet werden kann. Erdogan jedoch war lange ein Anhänger der These, dass man sie nicht durch hohe, sondern nur durch niedrige Zinsen bekämpfen könne. Seine Reaktion auf die Zinserhöhung zeigt nun, dass Erdogan zu alten Ansichten zurückgekehrt ist.

Doch dahinter steckt auch ein kleines Familiendrama. Im November hatte der Präsident bereits Agbals Vorgänger ebenfalls durch ein Dekret aus dem Amt entfernt. Am Tag darauf gab Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak via Instagram seinen Rücktritt als Finanzminister bekannt. Agbal, zuvor in zwei Kabinetten ebenfalls Finanzminister, war mit Albayrak in ökonomischen Fragen uneins und auch persönlich zerstritten. Es wurde kolportiert, Albayrak habe ein persönliches Gespräch mit seinem Schwiegervater gesucht, um die Einsetzung des neuen Zentralbankchefs zu verhindern, sei im Palast aber nicht vorgelassen worden. Erdogan kommentierte den Rücktritt Albayraks spät und ohne ein Wort des Bedauerns oder des Dankes.

Zunächst schien Albayraks Stern weiter zu sinken. Doch dann kamen seine Leute wieder nach oben. Am 21. Februar feuerte Erdogan den Chef des Statistikamtes TÜIK und am 2. März den eben erst installierten Nachfolger. Der neue Behördenchef, Sait Erdal Dincer, wird dem Umfeld von Albayrak zugerechnet. Der jetzt ernannte neue Zentralbankchef Sahap Navcioglu steht diesem ebenfalls nahe. Als Kolumnist der regierungsnahen, islamischen Zeitung »Yeni Safak« ließ er keine Gelegenheit aus, Albayraks Politik zu loben. Gleichzeitig kritisierte »Yeni Safak« die Zinserhöhung durch Vorgänger Agbal scharf. Albayraks Leute scheinen überall in der Administration im Aufwind zu sein, und der Präsident spricht wieder in höchsten Tönen von seinem Schwiegersohn.

Es spricht einiges dafür, dass hinter der nächtlichen Entlassung des Zentralbankchefs das Betreiben eines Konglomerats regierungsnaher Unternehmerfamilien und ihrer Holdings steckt. Diese profitieren von staatlichen Aufträgen und unterstützen Erdogan mit ihren Medien. Diese Allianz hat Albayrak mit Hilfe besonderer Kreditkonditionen staatlicher Banken zum großen Teil selbst geschaffen. Angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise hatte Erdogan im Herbst an der Weisheit seiner Finanzpolitik zu zweifeln begonnen. Die Lage blieb aber schwierig, und nun ist das regierungsnahe, zum Teil islamische Kapital dabei, wichtige Posten zurückzuerobern.

Ideologisch verbrämt wird diese Interessenpolitik mit dem Rückgriff auf konservative Werte. Der Rückzug von der Istanbul-Konvention passt durchaus dazu. Und dann ist da noch die Gewalt gegen die Opposition. Annähernd 300 Anträge auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität gibt es. Die zweitgrößte Oppositionspartei, die prokurdische HDP, soll gleich ganz verboten werden. Verliert da jemand in einem Palast bei Ankara gerade die Nerven?

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