Fußballkrieg in Mostar
BallHaus Ost: Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana
Im zerrütteten Bosnien-Herzegowina nehmen einige Städte eine Sonderstellung ein, was meist durch ihre Grenzlage zwischen Serben, Kroaten und Bosniaken bedingt ist. Mostar ist die sechstgrößte Stadt des Landes und wird heute von jeweils rund 50 000 Kroaten und 50 000 Bosniaken bewohnt, neben Resten der serbischen Einwohnerschaft, die überwiegend im Bürgerkrieg vertrieben wurde. Der Fluss Neretva teilt Mostar faktisch in einen kroatischen und einen bosnischen Teil. Die Altstadt ist ein Traum: Wer früh unterwegs ist, sieht die Eisvögel beim morgendlichen Fischfang am Ufer der glasklaren Neretva.
Im Bürgerkrieg kämpften 1992 und 1993 Bosniaken und Kroaten zuerst gemeinsam gegen die Serben, um sich ein Jahr später wechselseitig zu vertreiben und abzuschlachten. Den Höhepunkt des Blutvergießens stellte die Sprengung der Stari Most, des Wahrzeichens der Stadt dar. Das Land wurde durch die Weltgemeinschaft befriedet, die Brücke 2004 wieder aufgebaut. Doch man ist sich in Mostar bis heute nicht grün untereinander: Nach langem demokratischen Stillstand fand nach zwölfjähriger Auszeit im vergangenen Dezember wieder mal eine Kommunalwahl statt.
Dennoch hat jeder Stadtteil eine eigene Fußballmannschaft in der 1. Liga. FK Velež Mostar im bosniakischen, Hrvatski Športski Klub Zrinjski Mostar im kroatischen Teil. Zu großen Weltturnieren ist der kroatische Teil in den Farben Kroatiens geschmückt, Jung und Alt sitzen vorm Fernseher oder in den Kneipen und bejubeln Kroatien. Im bosnischen Teil sind die Fernseher aus und nur ein paar müde Katzen streunen durch die Gassen. Als 2008 zur Europameisterschaft Kroatien auf die Türkei traf, kam es in Mostar zu heftigen Krawallen, als Hunderte Jugendliche aus beiden Stadtteilen einander durch die engen Gassen jagten und dem Gott des Gemetzels huldigten.
Ältere Herrschaften kennen Velež Mostar noch als großen jugoslawischen Verein. Der 1922 gegründete Arbeiterklub galt bis zum Bürgerkrieg als Sinnbild für den Zusammenhalt der in Mostar lebenden Völker. Man spielte im schönen Bijeli-Brijeg-Stadion (Weißer-Hügel-Stadion), im Europapokal auch mal vor 25 000 Zuschauen. Tito liebte angeblich Velež und ließ vom bedeutenden jugoslawischen Architekten Bogdan Bogdanović unweit des Stadions die Partisanen-Nekropole errichten. Gegenwärtig versucht man, diese Gedenkstätte wieder in einen ansehnlichen Zustand zu bringen. Die aktiven Fans von Velež nennen sich »Red Army Mostar«, sie sollen früher links gewesen sein.
Nach dem Bürgerkrieg spielte das kroatische Zrinjski Mostar im Bijeli-Brijeg, dass sich auch im kroatischen Teil der Stadt befindet. Velež musste in einem Vorort eine neue Heimat finden. Der Schmerz der Vertreibung sitzt heute noch tief. Die »Ultras Zrinjski« feuern Zrinjski Mostar an. Nationalistische Parolen sind hier Standard. Beide Vereine haben ein paar hundert Ultras. Die Zuschauerzahlen liegen jeweils bei ein paar tausend. Ich besuchte beide Mannschaften zu Heimspielen. Bier und Bratwurst bei Zrinjski., lauwarmes Wasser und Sonnenblumenkerne bei Velež. Beide Fangruppen lärmten ordentlich und priesen ihre Götter und Dämonen.
Das Mostarski derbi darf nur von den jeweiligen Heimzuschauern besucht werden - um einen innerstädtischen Fußballkrieg zu verhindern. Dank der allgegenwärtigen Fußballgraffitis und Tags an jeder Ecke vergisst man nie, in welchem Stadtteil man sich gerade befindet. In regelmäßigen Abständen hauen sich die verfeindeten Fangruppen noch immer die Nasen platt. Das geschieht meist außerhalb der Stadt, schließlich ist der Tourismus die Haupteinnahmequelle. Wer jung ist und etwas kann, sucht sich Arbeit im Ausland.
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