Das perfekte Match

Digitale Liebe in der Kulturindustrie: Die Serie »The One« und die Verheißung von Datingservices

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 5 Min.

Filmische Science-Fiction-Erzählungen rund um die seit Jahren boomende Datingindustrie, deren Angebote immer mehr zur Alltagskultur urbaner Mittelständler gehören, sind gerade schwer im Kommen. Schon im vergangenen Monat brachte Amazon Prime die US-amerikanische Anthologie-Serie »Soulmates« heraus, in der es in einer nahen Zukunft um eine Technologie geht, die Menschen nach einem Scan ihres Gehirns einen perfekt passenden Lebenspartner zuweist, den Titel gebenden »Seelenverwandten«. Nun startet auf Netflix mit »The One« eine thematisch fast identisch wirkende Serie aus Großbritannien, in der eine weltweit erfolgreiche Firma anhand eines genetischen Abdrucks die eine oder den einen Liebespartner*in finden kann.

In beiden Serien funktioniert das wissenschaftlich basierte »Matching« perfekt, das heißt, die Tests bringen Menschen zusammen, die sich dann wirklich auf eine fast schon märchenhafte Weise ineinander verlieben und beginnen, ihre Traumbeziehung zu führen. Als würden die schnulzigsten Wunschträume zu einer materiellen Wirklichkeit werden. Nur liegt diesen wahr werdenden Bilderbuch-Liebesgeschichten die im Kapitalismus kommodifizierte Vorstellung von Romantik, Liebe und bürgerlicher Beziehung zugrunde, die hier ganz zeitgemäß auch queer oder polyamor sein kann.

Letztlich geht es in beiden Serien aber nicht nur um eine wissenschaftliche Revolution, die das Dating und das Führen von Beziehungen radikal verändert, sondern es geht auch um eine ökonomische Inwertsetzung dieses »Matchings«. In »The One« steht dieser Aspekt sogar im Vordergrund. Die Serie erzählt vor allem von der Entstehung der titelgebenden Firma »The One«, einem Londoner Startup-Unternehmen, das zwei junge Wissenschaftler gründen, die herausfinden, dass sich per Gensequenzierung von Pheromonen zugehörige Partner nicht nur bei Ameisen, sondern auch bei Menschen finden lassen. Nachdem sie sich durch einen Freund in eine staatliche Genbank einhacken und Daten klauen, können sie ein Unternehmen aufbauen, das innerhalb Jahresfrist einen unglaublichen Zuwachs erlebt. Nur haben die beiden Gründer im wahrsten Sinne des Wortes Leichen im Keller, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Der Achtteiler ist im Grunde genommen ein erstklassiger und vergleichsweise komplexer Krimi, der aber darüber hinaus, auch anhand verschiedener, geschickt miteinander verknüpfter Erzählstränge ein ganzes Panorama sich durch die neue Technologie verändernder Beziehungen und Partnerschaften auffächert.

So kommt selbst die knallharte, über Leichen gehende Firmengründerin und Geschäftsfrau Rebecca Webb an ihre Grenzen, als sie ihre wahre Liebe am Surfstrand von Teneriffa trifft. Die Polizistin Kate, Rebeccas Gegenspielerin, hofft darauf, Sophia, ihre Liebe aus Barcelona zu treffen, was aber erst einmal zu einem schrecklichen Drama führt. Und eine junge Frau namens Hannah macht den Gen-Test für ihren Mann, ohne dass der davon weiß, trifft sich mit dessen »Match« und stürzt damit ihre ganze Ehe ins Chaos. Die wissenschaftlich zugewiesenen Beziehungspartner zu treffen, bedeutet zwar automatisch, sich erst einmal definitiv zu verlieben und sich körperlich auf geradezu magische Weise angezogen zu fühlen. Das ganze Glücksversprechen der romantischen Liebe, von der Kulturindustrie seit Jahr und Tag inszeniert, wird zur eigenen Wirklichkeit. Wobei keine Beziehung deswegen perspektivisch einfach so funktioniert, als wäre Liebe ausschließlich ein Prozess chemischer Körperreaktionen und kein soziales Verhältnis, das sich durch eine Entwicklung und im Kontext des alltäglichen Lebens vollzieht.

Während in »Soulmates« das wissenschaftliche Verfahren, das Partner zuweist, geradezu als gesellschaftliche Autorität inszeniert wird, die einen Wahrheitsbegriff implementiert, dem sich zu entziehen für die Akteure gar nicht möglich zu sein scheint, wird in »The One« die romantische Liebe zu dem oder der »Einen« als eine Art Abhängigkeitsverhältnis gezeigt, das auch physische und materielle Aspekte hat. Dabei wird in beiden Serien die Sinnfälligkeit einer derartigen Partnerschaftsvermittlung gar nicht erst infrage gestellt, da beide Modelle sowohl auf persönlicher Ebene für den Konsumenten als auch für die Produzenten oder Dienstleister funktionieren. Es geht vielmehr darum, die gesellschaftlichen Folgeerscheinungen in Szene zu setzen. Wobei die Vermittlungs- oder Datingtechnologie in »Soulmates« schon weiter vorangeschritten und weiter gesellschaftlich verankert ist als in »The One«, wo das Startup-Unternehmen von Rebecca Webb gerade erst einmal ein Jahr alt ist und die Bedenken gegenüber der neuen Technologie ebenfalls noch wesentlicher Bestandteil der Handlung sind.

Die oftmals diffuse Sorge, durch die Digitalisierung unserer Lebenswelten Handlungsmacht zu verlieren, ist ein zentraler Stehsatz der gesellschaftspolitischen Debatten rund um dieses Phänomen und auch stets in der kulturindustriellen Aufbereitung dieses Themas durch die Science-Fiction präsent - egal ob es ums Arbeiten, um politische Freiheiten, wie hier ums Dating oder gleich um die Bedrohung der ganzen Menschheit durch mörderische KI geht. Dass glücklich verliebte Menschen leichter regierbar sind, liegt auf der Hand. Vor allem, wenn die Art der Beziehungen ohne große Friktionen in den kapitalistisch kommodifizierten Alltag des Arbeitens, Wohnens, Reisens und Konsumierens passen und bisherige Gewohnheiten gar nicht erst auf den Kopf stellen. Das romantische »Matching« aus »The One« und »Soulmates« eröffnet den Akteuren keine emanzipatorische Perspektive für ihr Leben. Wobei sich in einer Folge von »Soulmates« jemand bewusst gegen sein verheißungsvolles Glück mit dem Traumpartner entscheidet und damit auch gegen eigene Ängste ankämpft. Aber im Großen und Ganzen neigen die Figuren dazu, ihr Liebesglück im gemeinsamen Kochen, in schönen Apartments, an Traumstränden oder beim Bummeln durch Kunstgalerien zu genießen und sich auf das »Match« einzulassen.

»The One« ist fünf Minuten entfernt in der Zukunft angesiedelt, wie es sinngemäß im Netflix-Werbetext zu der jetzt schon überaus erfolgreichen Serie heißt. Diese Art der Science-Fiction, die eine unmittelbar bevorstehende Zukunft und deren Veränderung vor allem durch digitale Medien und Technologien thematisiert, erfreut sich gerade großer Beliebtheit. Die schon mehrfach ausgezeichnete Netflix-Anthologie-Serie »Black Mirror« liefert seit mittlerweile zehn Jahren regelmäßig Einblicke in die sozialen, kulturellen und politischen Abgründe der unmittelbar bevorstehenden technologischen Zukunft. Auch bei »Black Mirror« gab es bereits eine Folge zum Thema Dating. Dass in Zeiten der Atomisierung und Vereinsamung (nicht nur durch Corona) die Bedeutung von Beziehungen und Partnerschaften in den Fokus rückt, dürfte keine Überraschung sein. Da »The One« mit einem Cliffhanger endet, ist davon auszugehen, dass auch diese Serie fortgeführt wird. Das Thema Dating bringt derzeit einfach Quote.

»The One« auf Netflix.

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