• Kultur
  • Frauen erneuern Havanna

Karibische Frauenpower

Die Altstadtsanierung auf Kuba ist in weiblicher Hand

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn es um die Altstadtsanierung in Havanna geht, fällt zunächst immer der Name Eusebio Leal. Doch hinter dem im vergangenen Jahr verstorbenen Stadthistoriker stand ein Team, das von Frauen dominiert wurde. Altstadtsanierung auf kubanisch ist weiblich. Darauf macht Christine Heidrich in »Frauen erneuern Havanna« aufmerksam - dem ersten Buch über die Architekt*innen von Habana Vieja.

Als das Capitolio im November 2019 feierlich zum 500. Jahrestag der Gründung von Havanna nach langer Restauration wieder für den Publikumsverkehr freigegeben wurde, stand Eusebio Leal ein letztes Mal im Scheinwerferlicht. Seit Anfang der 80er Jahre war er für die Sanierung des Gebäudes verantwortlich, das dem US-Capitol in Washington ähnelt, laut Historikern jedoch viel stärker vom Pantheón in Paris oder vom Petersdom in Rom inspiriert sei. Leal unterhielt damals geistreich Ehrengäste und internationale Presse. Natürlich hatte er sich stets über die Arbeiten auf dem Laufenden halten lassen, an denen übrigens auch ein Unternehmen aus Thüringen beteiligt war - koordiniert wurde das repräsentative Projekt jedoch von Marisol Marrero Oliva. Die Bauingenieurin arbeitet im wichtigsten Architekturbüro für Sanierungsaufträge in Havanna. »Restaura« heißt es, rund 220 Mitarbeiter hat es, weit über 60 Prozent sind Frauen. Neben dem prestigeträchtigen Capitolio haben sie auch dem Gran Teatro von Havanna, wo das berühmte kubanische Ballett residiert, und der Basilica de San Francisco de Asis sowie zahlreichen Wohn- und Geschäftshäusern, die zu den architektonischen Kleinoden der kubanischen Hauptstadt gehören, zu neuem Glanz verholfen.

Dass Frauen den Ton angeben, ist in der kubanischen Gesellschaft, in der sich Männer vielfach als Machos spreizen, nicht selbstverständlich. Doch im Architekturgetriebe scheinen sie keine Chance zu haben. »Hier hören die Männer auf dich, sie folgen dir, vor allem, weil wir Frauen uns Ansehen erworben haben, weil wir wissen, wovon wir sprechen«, sagt Perla Rosales Aguirreurreta. Die stellvertretende Generaldirektorin des Büros des Stadthistorikers (OHCH) hat wie etliche Kolleginnen noch in der Sowjetunion studiert, sich auf Restaurierung spezialisiert und ist alsbald von Eusebio Leal »entdeckt« worden, der seinen weiblichen Mitarbeitern stets großen Respekt entgegenbrachte, wie viele von ihnen gegenüber Christine Heidrich bestätigten. Die Buchautorin kritisiert, dass jedoch deren Leistungen in der öffentlichen Wahrnehmung wie auch in der Literatur weitgehend unbeachtet bleiben.

Artikel, Aufsätze, Bücher über die Rolle der Architektinnen gibt es so gut wie gar nicht, beklagt Christine Heidrich. Per Zufall stieß sie 2016 bei ihrer ersten Visite auf Kuba darauf. Ihr fiel ein Flyer zur Ausstellung »Ellas restauran« (Sie restaurieren) in die Hände und erregte ihre Neugier. Die Architektin aus Solothurn, nahe Zürich, begann daraufhin zu recherchieren, warum in Havanna die Frauen die Hosen anhaben. Tatiana Fernández, die Leiterin von »Restaura«, agierte als Vermittlerin, sorgte für Informationen und Kontakte. Unter anderem weil sie und ihre Kolleginnen ein verständliches Interesse daran haben, aus dem Schatten des omnipräsenten Eusebio Leal zu treten, aber auch weil die Genderfrage in der Architektur selten gestellt wird. Tatiana Fernández stellte der Schweizerin zwölf Frauen vor, die am Capitolio, dem Kloster Santa Brígida oder am Wohnhaus San Ignacio 414 mitgewirkt haben.

Interessant, aufschlussreich und nachdenkenswert, was die Frauen berichten. »In der Restaurierung muss man bescheiden sein und sich dem Werk unterordnen, das bis in unsere Zeit überdauert hat«, erklärt die Architektin Sofía Caridad Martínez Guerra, die im Büro des Stadthistorikers arbeitet. Das bedeute auch, dass eigene Ego unter Kontrolle halten und nicht der Arbeit eines anderen Architekten seinen eigenen Stempel aufdrücken. Vielleicht ein Grund, weshalb Frauen in der Altstadtsanierung von Havanna den Ton angeben und den männlichen Kollegen, anders als sonst allgemein üblich, den Rang ablaufen. Und vielleicht werden sie alsbald noch stärker in Erscheinung treten. Nach dem Tod von Eusebio Leal könnte jetzt eine Frau den Job des Stadthistorikers übernehmen. Dann dürfte noch mehr gelten: »Frauen erneuern Havanna.«

Christine Heidrich: Frauen erneuern Havanna. Architektinnen, Ingenieurinnen und ihre Bauwerke im architektonischen Weltkulturerbe der Altstadt. Kehrer, 144 S., geb., 39,90 €.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.