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Jeder weint für sich allein
Jakob Hayner fürchtet die neue Einsamkeit - aber auch die handelsübliche Therapie dagegen
Fühlen Sie sich einsam? Forscher der Universitäten Frankfurt am Main und Hildesheim konsultierten junge Menschen, die Antworten sind deutlich. 61 Prozent der befragten Jugendlichen fühlen sich teilweise oder dauerhaft einsam, psychisch belastet sind 64 Prozent, Zukunftsängste haben 69 Prozent. Hinzu kommen finanzielle Sorgen und der Eindruck, mit den eigenen Bedürfnissen politisch kein Gehör zu finden. Dabei sei »den Jungen gar nicht bewusst, wie schlecht es ihnen geht«, so Diana Kinnert. Die junge Unternehmerin und CDU-Politikerin hat kürzlich mit dem Journalisten Marc Bielefeld das Buch »Die neue Einsamkeit. Und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können« veröffentlicht. Die Ursachen für die Einsamkeit sieht sie in unserer Wirtschaftsordnung, die Solidarität zerschlage und Menschen vereinzele. Unverbundenheit sei eine Folge der Zurichtung als Konsumenten. Deutliche Worte, auch wenn sie letztlich für Reform statt Revolution plädiert. Wie sollte sie auch anders, bei ihrem Parteibuch.
Über Einsamkeit muss gesprochen werden. Doch wie? - so lautet die wichtige Frage. »Eine Epidemie namens Einsamkeit«, titelte der »Spiegel« diese Woche. Seit Jahren gibt es diese reißerische Diktion. »Killer«, »Todesursache Nummer eins« und die »Epidemie Einsamkeit«, so heißt es beispielsweise bei Manfred Spitzer, dem Autor von »Einsamkeit - die unerkannte Krankheit: schmerzhaft, ansteckend, tödlich«. Einsamkeit sei eine Krankheit, die zu erhöhter Sterblichkeit führe. Das behaupten auch Neurowissenschaftler wie John Cacioppo in seinem Buch »Einsamkeit: Woher sie kommt, was sie bewirkt, wie man ihr entrinnt«. Eine Krankheit? Krankheiten werden mit Medikamenten behandelt, eine Pille gegen Einsamkeit wird bereits erforscht. In Großbritannien gibt es seit 2018 ein Einsamkeitsministerium, das die Einsamen mit Hashtags, Plakaten und »Loneliness Awareness Weeks« versorgt. Das ist - wie jede Symbolpolitik - ungefähr so hilfreich wie das Bild eines Rettungsrings für einen Ertrinkenden. Und über die Austeritätspolitik, die die Menschen in die soziale Isolation getrieben hat, muss man dann praktischerweise gar nicht mehr sprechen.
»Einsamkeit. Warum wir aus einem Gefühl keine Krankheit machen sollten« heißt das Buch des Wissenschaftsjournalisten Jakob Simmank, das man zu dem Thema wirklich gelesen haben muss. Es zeigt, wie Probleme ins Medizinische verlagert werden, um die gesellschaftlichen Ursachen zu verdecken. Auch sei Einsamkeit ein ambivalentes Gefühl, das man den Menschen nicht um jeden Preis austreiben dürfe, so Simmank. Etwas anderes sei die erzwungene soziale Isolation. Die wiederum gilt inzwischen als eine Art Allheilmittel in der Gesundheitskrise, bekannt unter dem Namen Lockdown (wie Coca Cola wahlweise auch als Light oder Zero im Angebot). Ob dem Patienten - also uns - von diesem tollen Medikament zu viel oder zu wenig verabreicht wird, erregt die Gemüter. Doch bei einem falschen Mittel ändert auch die Dosis nichts. Gesundheitliche, soziale und politische Nebenwirkungen? Lieber nicht drüber reden, Augen und Ohren verschließen und durch. Ruft man sich aber nochmals kurz die Worte Kinnerts in Erinnerung, so ist es unsere Wirtschaftsordnung selbst, die uns vereinsamt und isoliert haben will. Eine erfolgreiche Therapie würde also nicht bloß die Symptome behandeln, sondern ginge das Grundübel an.
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