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Das Leben ist ein Hausboot
In der Rummelsburger Bucht ist auch das Wasser bewohnt. Das passt nicht allen.
Ich möchte ein lebenswertes Leben haben«, sagt Jan Ebel. Das hat er auf dem Rummelsburger See gefunden. Seit zehn Jahren wohnt der 39-Jährige, der nach seinem ersten Boot »Rockfisch« genannt wird, vor Anker mitten auf dem Wasser in der Rummelsburger Bucht. Nach Schätzungen der Wasserschutzpolizei ist seines eins von rund 100 Booten auf dem See. Ebel denkt, dass es eher mehr sind. Sein Boot ist komplett autark, er hat eine Frischwasseraufbereitungsanlage und Solarzellen auf dem Dach, die für ihn, seine Partnerin und ihren gemeinsamen Sohn ausreichen. »Nur im Winter muss ich den Kühlschrank ausstellen«, sagt er mit einem leichten Augenzwinkern. Einmal im Monat fährt er an die Marina und lässt das Abwasser aus dem 500-Liter-Tank abpumpen, geheizt wird mit recyceltem Holz von den umliegenden Baustellen. Bei unserem Besuch ist es mollig warm, obwohl der Ofen aus ist. »Gut gedämmt«, sagt er.
Ebel arbeitet in Prenzlauer Berg als Erzieher, zur Arbeit fährt er mit Kajak und Fahrrad. Anstrengend findet er das nicht. »Ich freue mich jeden Morgen, wenn ich auf dem Wasser aufwache und die Brassenschwärme vorbeiziehen sehe«, schwärmt er. Vor seinem Wohnzimmer bildet eine alte NVA-Fähre eine Art Flur, an dem im Sommer befreundete Boote anlegen. In seiner Freizeit engagiert sich Ebel bei der Spreepublik, einem Zusammenschluss von Kulturflößen.
Doch sein Wasserleben, wie er es gewohnt ist, ist bedroht. Mitte des Jahres soll ein Teil der Bucht für die Seesanierung gesperrt werden, bei der giftige Sedimente ausgehoben werden sollen. Bereits seit Februar ist das Fahren in der Bucht nur noch eingeschränkt möglich. Grund dafür sind laut Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt (WSA) Spree-Havel mehrere »leckgeschlagene Objekte«, die Lage solle nun durch eine Peilung geklärt werden. In der kalten Zeit waren mehrere Boote gesunken. Das nimmt auch die Lichtenberger Linke zum Anlass, erneut ein Ankerverbot auf den Tisch zu legen. Entscheiden können darüber weder Bezirk noch Land, denn der See ist eine Bundeswasserstraße, in der das Ankern außerhalb der Fahrrinne grundsätzlich erlaubt ist. Vor zwei Jahren wurde ein Antrag der Senatsumweltverwaltung für ein Ankerverbot vom WSA mangels Rechtsgrundlage abgelehnt.
Doch viele Anwohner und Investoren stören sich an dem Freiraum auf dem Wasser. Laut Wasserschutzpolizei gebe es unter anderem Beschwerden über Lautstärke, Abgase, nicht ordnungsgemäße Müllentsorgung und ungepflegten Eindruck der Boote. »Die ›schwimmenden Anlagen‹ auf dem See sind auch eine Begünstigung Einzelner auf öffentlichen Flächen«, sagt Ottfried Franke von der Interessengemeinschaft »Eigentümer in der Rummelsburger Bucht«, wo zum Beispiel Coral World vertreten ist, zu »nd«.
Camilla Schuler von der Lichtenberger Linksfraktion hat den Antrag für ein Ankerverbot geschrieben. Es gehe ihr nicht um die Verdrängung der Menschen auf dem Wasser, sondern um den Umweltschutz, erklärt sie auf Nachfrage des »nd«. Gewünscht sei ein Runder Tisch zum Thema Umwelt und Wohnen in der Bucht. Dort solle neben der Politik auch Spreepublik und die Volksinitiative Bucht für Alle vertreten sein.
»Uns war klar: Wenn Biergärten, Clubs, Wagenplätze und das Obdachlosencamp in der Rummelsburger Bucht weg sind, dann werden die Boote und Kulturflöße als Nächstes dran sein«, sagt Iver Ohm von Bucht für Alle zu dieser Entwicklung. Für die Initiative ist wichtig, dass auch Menschen ohne organisierte Interessenvertretungen an der Debatte beteiligt werden. Auf dem See wohnen nicht nur Menschen mit gut ausgestatteten Hausbooten wie Jan Ebel. Der schätzt, dass etwa zehn Obdachlose auf Booten leben, die sie gekapert haben oder geschenkt bekamen. »Viele parken ihre Boote hier auch aus Verzweiflung, weil sie keine Liegeplätze finden oder sie nicht bezahlen können«, sagt Ebel. Ein Liegeplatz für ein 10 bis 15 Meter langes Boot koste um die 300 Euro monatlich.
Ebels Nachbar und Spreepublik-Kollege heißt Claudius Schulze. Der 36-Jährige mit der roten Jacke und dem Loch im Turnschuh ist Fotograf und nutzt sein Boot hauptsächlich als Atelier. Sein Thema ist der Umweltschutz. Dass gerade die Boote als Umweltproblem gesehen werden, kann er angesichts der industriellen Belastung bis in die 90er Jahre nicht verstehen. »Die meisten hier achten darauf, wie sie ihren Müll entsorgen«, meint Schulze. Dafür habe Spreepublik am vergangenen Wochenende drei Tonnen Metallschrott aus der Spree geborgen, hauptsächlich Fahrräder und Elektroroller.
Bei einem Vor-Ort-Besuch liegen die meisten Boote ruhig im Wasser, ab und zu hört man Techno, ein Stehpaddler fährt vorbei. »Das sind hier dörfliche Verhältnisse, man kennt sich, manche sind befreundet, manchmal gibt es kleinere Konflikte. Es gibt eine Whatsapp-Gruppe, da werden Dinge besprochen wie: ›Ey, ich brauch Motoröl!‹«, erklärt Schulze, während er eine 30 Kilo schwere Ankerkette auf den Boden wuchtet und von der blauen Trommel abrollt. Er will seine Ankerbefestigung überarbeiten.
Dass die Bootsszene seit 2016 gewachsen ist, erklärt sich Schulze mit dem erhöhten Nutzungsdruck in der Stadt. »Wir liegen nicht hier, weil wir Besetzer sind, sondern weil es das Bundeswasserrecht so vorsieht«, stellt er klar. Jenseits der Spreepublik gebe es bis jetzt keine Organisation der Hausboote. »Da ist viel Eigenbrötlertum. Doch vielleicht passiert das jetzt, wo der Druck größer ist«, sagt Schulze.
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