Pandemie verschärft Mietenkrise

Initiativen fordern bessere Regeln, damit nicht noch mehr Menschen ihre Wohnungen verlieren

  • Darius Ossami
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor dem Roten Rathaus fegt der Wind kalt um die Ecken, der Regen hat gegen 12 Uhr eine Pause eingelegt. Trotz wiederkehrender Schauer haben am Samstag nach Veranstalterangaben mehr als Tausend Menschen für eine Änderung der Wohnungspolitik demonstriert. »Wir hatten 1500 angemeldet – es könnten etwas mehr geworden sein«, sagte ein Sprecher des Bündnisses gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. Die Polizei sprach von einer »mittleren dreistelligen Zahl zum Start der Demo«.
Der Protestzug unter dem Motto »Wohnen für Menschen statt für Profite« zog im Rahmen des europaweiten Aktionstages »Housing Action Day 2021« vom Alexanderplatz in Mitte über den Kreuzberger Moritzplatz zum Mariannenplatz.

Auf mehreren Kundgebungen entlang der Route forderten zahlreiche Redner*innen eine Kursänderung in der Wohnungspolitik. Die meisten bisherigen Instrumente hätten nicht viel bewirkt und würden durch die Corona-Pandemie noch verschärft. Zwar sei der Berliner Mietendeckel ein erster Erfolg, aber noch keine hinreichende Antwort auf die weiter gehende Spekulation und Verdrängung, erklärte der Berliner Mieterverein, der unter dem Motto »Wohnen ist Menschenrecht« ebenfalls zu der Demonstration aufgerufen hatte. Ein »aus den Fugen geratener Markt« führe dazu, »dass Menschen ihr Zuhause verlieren«. Der Mieterverein plädiert für strengere Regeln zum Schutz der Mieter*innen mit einem Mietenstopp als ersten Schritt. Mehr Neubau von bezahlbaren Mietwohnungen müsse dringend folgen. »Während Immobilienkonzerne weiter hohe Renditen erzielen, müssen Mieter*innen in Kurzarbeit oder verlieren ihre Jobs ganz. Die schon zuvor zu hohen Mieten werden unbezahlbar.«

Auch Lorena Jonas von der Initiative »23 Häuser sagen Nein« sprach sich für einen Mietenstopp aus. »Die Pandemie zeigt deutlicher denn je, welche Rolle das eigene Zuhause in unserer Gesellschaft spielt. Es ist nicht nur das behütende Dach über dem Kopf für Familie, Gesundheit und Rückzug, sondern für viele Schule, Kita und Arbeitsstätte«, so Jonas. Wohnraum müsse endlich grundlegend geschützt werden.

»Vieles, was schon immer beschissen war, wurde jetzt noch schlimmer«, resümierte auch ein Sprecher des Bündnisses »Hände weg vom Wedding«. »Das Vorkaufsrecht ist ein Tropfen auf dem heißen Stein in dieser Wüste der Gentrifizierung«, kritisierte er und forderte einen Stopp von Zwangsräumungen sowie die Enteignung und Vergesellschaftung aller profitorientierten Wohnungsunternehmen. Der Redner plädierte für mehr »Selbstorganisierung von unten« und kündigte an: »Wir werden für eine Stadt kämpfen, in der alle Menschen gut leben können!« Weitere Redner*innen verlangten außerdem ein Ende der Bodenspekulation, der Stopp der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen und immer wieder: Wohnraum für alle.

Die Teilnehmer*innen der gut organisierten Demonstration trugen farbenfrohe und fantasievolle Schilder und Transparente mit Parolen wie: »Direkte Demokratie ist systemrelevant«, »Enteignung ist die halbe Miete« und »Party statt Kapital«. Die Initiative »Deutsche Wohnen & Co. Enteignen« sammelte Unterschriften für ihren geplanten Volksentscheid. Die Moderator*innen auf den Lautsprecherwägen und zahlreiche Ordner*innen in gelben Warnwesten wiesen immer wieder darauf hin, Abstand zu halten und Masken zu tragen, was die Teilnehmenden auch so gut wie möglich befolgten. Ein Wagen mit lauter Technomusik sorgte für lange vermisste Tanzstimmung, auf dem Oranienplatz wurden Songs von Rio Reiser interpretiert. Stimmungsvoll, wenn auch nicht besonders kämpferisch blieben die meisten Teilnehmer*innen lange dabei.

»Trotz Corona und des schlechten Wetters sieht man, dass das Thema viele Leute auf die Straße bringt«, sagte Kim Meyer vom Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn. Viele kleine Initiativen hätten sich in den letzten Monaten gebildet, was zeige, dass das Thema weiterhin sehr aktuell sei. »Die Adressaten sind unterschiedlich, aber die Ursache ist die gleiche: Was uns eint, ist, dass der Druck auf dem Immobilienmarkt steigt.« Ein europaweiter Aktionstag sei sinnvoll, weil überall mit Wohnraum spekuliert werde.
Der jährlich Ende März stattfindende »Housing Action Day« bezieht sich auf Frankreich.

Dort werden über den Winter Zwangsräumungen ausgesetzt. In Deutschland ist das nicht der Fall – in Berlin wurde zuletzt das Obdachlosencamp in der Rummelsburger Bucht und am vergangenen Donnerstag die Kollektivkneipe Meuterei geräumt. Auch Zwangsräumungen von Mietwohnungen finden statt. Ein Sprecher des Bündnisses »Leerstand hab ich Saath« erinnerte an die Räumung der Habersaathstraße. Er erklärte mit Verweis auf eine Kundgebung am 13. April vor dem Rathaus Tiergarten: »Die Mietenbewegung ist noch lange nicht vorbei.«

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